Wege zur Akademie

Ich habe viel geschrie­ben in die­sen Pes­ta­loz­zi-Jah­ren und eben­so in der Zeit zwi­schen Mit­tel­schu­le und der Aka­de­mie. Das fiel auch einem Mann namens Otto Hof­mann-Wel­len­hof auf. Wie ich spä­ter erfuhr war das ein Name, der im poli­ti­schen Leben der Stei­er­mark und dar­über hin­aus, eine nicht unbe­deu­ten­de Rol­le gespielt hat­te. Er wur­de zu mei­nem ers­ten Mäzen, wenn auch ein sehr stil­ler. Aber er lenk­te und steu­er­te im Hin­ter­grund ohne dass ich es wuss­te oder gar bemerk­te. Völ­lig unschein­bar und so, als ob es ihn nicht gäbe. Natür­lich erfuhr ich viel, viel spä­ter, dass sol­che Men­schen nur einen Grund­satz hat­ten: je unauf­dring­li­cher, des­to bes­ser! Und wehe, man zwingt sie zum Gegen­teil! Das wäre dann gleich­be­deu­tend mit dröh­nen­der Akti­vi­tät in jenem Bereich, den die katho­li­sche Kir­che in der Ver­gan­gen­heit so ger­ne als Dro­hung gebrauch­te: In der Höl­le! Auch wenn Herr Hof­mann-Wel­len­hof unvor­stell­bar unschein­bar agier­te, ich bin ihm jeden­falls sehr dank­bar!
Ich schrieb also. Und sam­mel­te alles, was ich auf der uralten Schreib­ma­schi­ne end­gül­tig nie­der­schrieb in einer grü­nen Flü­gel-Map­pe. Was man in die­se Maschi­nen tipp­te, war ein für alle Mal getippt. Es sei denn, man ver­nich­te­te das Papier auf dem getippt wur­de. Hand­schrift­li­che oder mit der Maschi­ne locker hin­ge­tipp­te Ent­wür­fe lan­de­ten in einer grau­en Map­pe. Anfangs tipp­sel­te ich noch mit­hil­fe des damals berühm­ten Zwei­fin­ger-Sys­tems, spä­ter gesell­ten sich eini­ge Fin­ger­chen mehr hin­zu. Und je län­ger ich die Schreib­ma­schi­ne nutzte,desto flot­ter wur­de ich. Am schnells­ten war ich in mei­ner inten­si­ven ORF-Zeit, da nahm ich es bereits mit einer durch­schnitt­li­chen Sekre­tä­rin auf. Im Übri­gen konn­te man die Kar­rie­re einer Schreib­kraft an der Wer­te­klas­se der Schreib­ma­schi­ne fest­ma­chen, je teu­rer die Maschi­ne, des­to höher­wer­ti­ger die Sekre­tä­rin. Mensch­li­che Sekre­tä­re waren zu die­ser Zeit sehr, sehr rar!
Ich schrieb also Gedich­te, Kurz­ge­schich­ten, län­ge­re Erzäh­lun­gen, und sam­mel­te sie in den besag­ten Map­pen. Ich sehe sie noch vor mir. Lei­der sind mir die­se bei­den Map­pen irgend­wo und irgend­wann abhan­den­ge­kom­men. Es waren alles Ori­gi­na­le und ich muss­te vor allem die grü­ne Map­pe oft als Lese­stoff ver­lei­hen. Hin und wie­der las ich auch dar­aus vor. Aus der grü­nen Map­pe, selbst­ver­ständ­lich. Auch Herr Hof­mann-Wel­len­hof ließ mei­ne Ela­bo­ra­te über sich erge­hen.
Beson­ders tief beein­druckt hat mich ein Ein-Per­so­nen-Stück, wel­ches ich anläss­lich mei­nes ers­ten Wien-Besu­ches erle­ben durf­te. Es war ein Stück in zwei Akten. In einem Kel­ler­thea­ter in Wien, im “Ate­lier­thea­ter am Nasch­markt”.  Beein­druckt hat mich nicht nur, dass es sich dabei um eine Trans­skrip­ti­on aus dem Mit­tel­hoch­deut­schen han­del­te, beein­druckt hat mich die schau­spie­le­ri­sche Leis­tung.  Die­se wie­der­um ver­bin­det sich in der Erin­ne­rung mit dem Namen von Veit Relin. Ganz sicher bin ich mir aber nicht. Den Ruf von Veit Relin kann­te man auch in unse­rem Freun­des- und Bekann­ten­kreis kann­te. Man hör­te viel von ihm – das war aber auch schon alles. Dank des Wien-Besu­ches hat­te ich die Mög­lich­keit, Gehör­tes tat­säch­lich zu erle­ben. Und es war ein Erleb­nis! Da stand er vor mir, der Bau­ern­sohn, der Raub­rit­ter Mei­er Helm­brecht, nahm hin und wie­der einen Schluck aus sei­ner Feld­fla­sche, stöp­sel­te sie danach wie­der sorg­fäl­tig und mit einem Schlag auf den Kor­ken fest zu und fuhr fort aus dem Leben Helm­b­rechts zu erzäh­len. Bis zu sei­nem Tod auf dem Ast eines Bau­mes. Er tat dies so vol­ler Span­nung und Ener­gie, vol­ler Laut­ma­le­rei, dass Bil­der kamen und wie­der ver­flo­gen, genau­so wie die Zeit an die­sem Abend, einem inten­si­ven Thea­ter­abend.
Schon wäh­rend der Ober­stu­fen-Zeit spür­te ich in mir den Drang hin zur Büh­ne, zum Thea­ter, den Drang hin zum Film. Als Schau­spie­ler, als Regis­seur viel­leicht. Viel­leicht auch nur als Dra­ma­turg, als ein­fa­cher Schrift­stel­ler. Die Welt der Büh­ne zog mich an. Die­se Welt begann an mir zu sau­gen. Das Opern­haus in Graz, gleich gegen­über der Hei­lands­kir­che, wo ich des öfte­ren anzu­tref­fen war, gemein­sam mit mei­nen Jugend­freun­den. Am Kai­ser-Josef-Platz mit sei­nem täg­li­chen Bau­ern-Markt und der Fisch­hal­le mit den gro­ßen leben­den Karp­fen und Forel­len. Die­sen Markt durf­te ich hin und wie­der mit mei­nem Vater besu­chen, der dort für unse­re Kun­den ein­kauf­te, solan­ge bis die­se sel­ber mobil wur­den. Die Steh­plät­ze wur­den zu mei­nem zu Hau­se. Da gab es Opern, Ope­ret­ten und die gro­ßen Dra­men wie “Beckett oder die Ehre Got­tes” von Jean Anouilh. Die klei­ne­ren Schau­spie­le wur­den in den “Kam­mer­spie­len” gege­ben, im ers­ten Stock des Land­haus­ho­fes. Dort­hin war das Schau­spiel in Graz aus­quar­tiert. Im gro­ßen Krieg hat­te das Schau­spiel­haus einen Bom­ben­tref­fer abbe­kom­men. Des­we­gen auch das Not­quar­tier. Ich hat­te zu jener Zeit nicht die gerings­te Ahnung, dass ich aus Anlass der Neu­eröff­nung eine Mini-Rol­le in Grill­par­zers “Ein treu­er Die­ner  sei­nes Herrn” spie­len und über die damals moderns­te Büh­ne Euro­pas schwe­ben durf­te. Die “Kam­mer­spie­le” hat­ten eben­falls einen Steh­platz-Bereich von dem aus ich die “Geschich­ten aus dem Wie­ner­wald” von Ödön von Hor­vath mit Alex­an­der Grill in der Haupt­rol­le erlebt habe oder “Scherz, Sati­re, Iro­nie und tie­fe­re Bedeu­tung” von Chris­ti­an Diet­rich Grab­be. Die meis­ten mei­ner zukünf­ti­gen Pro­fes­so­ren und Leh­rer lern­te ich so in den ver­schie­dens­ten Rol­len ken­nen – ohne es zu wis­sen. In mir reif­te näm­lich erst lang­sam der Ent­schluss die­sen Lebens­weg ein­zu­schla­gen. Man­che Auf­füh­run­gen hat­te ich gleich ein paar Mal ange­se­hen, sowohl Oper, Ope­ret­te als auch Schauspiel.Es gab Sze­nen, denen woll­te ich auf den Grund gehen, meis­tens hat­ten sie mit dem betref­fen­den Stück gar nichts zu tun, waren es nur unge­nau umschrie­be­ne Emo­tio­nen. Man­ches­mal hin­ge­gen war es sehr wohl stück­be­dingt. Grob beschrie­ben waren es durch die Dar­stel­lung beding­te Ereig­nis­se, die ech­tes Inter­es­se aus­lös­ten, das Wis­sen wie, war­um, und wie­so. Denn um Alter­na­ti­ven zu erken­nen, muss­te ich zuerst wis­sen. Ich ging auch ger­ne voll­kom­men allein irgend­wo­hin und ver­hielt mich ganz still und beob­ach­te­te nur. Was sich im Tür­spalt­lau­schen zu Hau­se ange­kün­digt hat­te, ent­wi­ckel­te sich jetzt zu einem Tro­pen­sturm. Ich beob­ach­te­te Men­schen und Tie­re und Pflan­zen und das Wet­ter und unse­re Erde. Alles. Mein gan­zes Umfeld, wel­ches immer grö­ßer wur­de und all­um­fas­sen­der. Das Vie­le, wel­ches ich auch zu mei­ner Auf­ga­be, zu mei­nem Beruf erwählt hat­te, ging aus­schließ­lich auf dem Weg zur Büh­ne, zum Fern­se­hen und dem Film, und dem Ton. Dass es noch eine wei­te­re Mög­lich­keit geben wür­de, konn­ten nur ein paar ganz weni­ge ahnen. Ich nicht.
In Graz gab es nur die Mög­lich­keit die berühmt-machen­den Bret­ter über die Schau­spiel­schu­le Neu­ber-Gau­der­nak zu erklim­men. Auch gewerk­schaft­lich. Das ging nur so damals. Mit der Ein­schrän­kung der berüch­tig­ten “Beset­zungs­couch”. Die hat­te sich schon bis zu unse­ren Krei­sen her­um­ge­spro­chen. Vie­le wähl­ten die­sen Weg, den über die Schau­spiel­schu­le. Bei­spiels­wei­se Ger­ti Pall und Alfred Rei­te­rer, zwei bekann­te Gra­zer Nach­wüchs­lin­ge damals. Also ver­such­te auch ich mich dahin­ge­hend. Ich griff zum Tele­fon, um mich anzu­mel­den, ich wähl­te. Damals hat­ten die Tele­fo­ne noch Wähl­schei­ben. Ich steck­te den Fin­ger in ein Loch der Schei­be, dreh­te nach rechts, gab die Schei­be wie­der frei, wor­auf­hin die­se kurz “tak­tak­tak­tak” hören ließ. Hat­te sich die Schei­be wie­der beru­higt, kam die nächs­te Zif­fer dran.  Geüb­te Tele­fo­nie­rer konn­ten an Hand der Län­ge die­ses “Tak­tak­tak” sogar die Num­mer des Ange­ru­fe­nen fest­stel­len. Das war all­ge­mein bekannt. Mein Ruf ging durch. Eine weib­li­che Stim­me mel­de­te sich und ver­setz­te mir den ers­ten Schock mei­nes Lebens. Die berühm­te und begehr­te Schau­spiel­schu­le gab es nicht mehr! Das war im Früh­jahr 1963. Ein Gebäu­de, ein Opern­haus,  schien in mir zusam­men zu stür­zen. Die net­te Dame am ande­ren Ende des Tele­fons rich­te­te mich wie­der auf, gab mir den Fun­ken von Hoff­nung, den ich bes­tens gebrau­chen konn­te und den Rat, unter der Num­mer “sowie­so” anzu­ru­fen und hof­fent­lich wei­te­re Infor­ma­tio­nen zu erhal­ten. “Auf Wie­der­hö­ren”, die­ser Wunsch hallt noch heu­te in mir und bekam auch sei­ne eige­ne Bedeu­tung.
Ich benö­tig­te ein paar Tage, bis ich mich wie­der gefasst hat­te. Es ging schließ­lich um mei­nen Wer­de­gang, um mein gan­zes – aus dama­li­ger Sicht – zukünf­ti­ges Leben. Das war kein Spiel, wel­ches ja von vie­len gespielt wur­de, nicht nur damals, das hat­te ich schon begrif­fen. “Wounns dou net geiht, geihts hoult wouon­das” (Wenn es da nicht geht, geht es halt wo anders – dama­li­ges gra­ze­risch). Nach zwei oder drei Tagen griff ich also wie­der zum Hörer des Tele­fons. Es war ein Wand-Appa­rat, der mon­tiert war zwi­schen Maga­zin-Zugang und unse­rem Pri­vat­be­reich. Wir nutz­ten das Tele­fon ja auch so, sel­ten aber doch. Ich wähl­te und es mel­de­te sich ein “Kon­ser­va­to­ri­um”. Gro­ße anfäng­li­che Ver­wirrt­heit, was hat­te die­ses Dings­da namens “Kon­ser­vat­ato­ri­um” mit dem zu tun, was mein Wol­len betraf? Nach eini­gen Minu­ten der stoa-stei­ri­schen Unter­hal­tung fand sich aber eine Klä­rung. Ja, ab Herbst gäbe es eine Hoch­schu­le, die spä­ter Aka­de­mie wer­den soll­te und ich soll­te Name und Adres­se bei der Sekre­tä­rin hin­ter­las­sen, ich wür­de bald ein Brief­lein bekom­men. Mir fiel ein Dach­stein – höchs­ter Berg der Stei­er­mark – vom Her­zen. Ich konn­te es nicht rich­tig erfas­sen. Ich bemerk­te nur stei­gen­den Blut­druck und erhöh­te Puls­wer­te. Ich hat­te einen ele­fan­tö­sen Schritt geschafft! Die drei Mono­lo­ge, die ich für die Auf­nah­me­prü­fung sel­ber aus­wäh­len soll­te, spiel­ten da über­haupt kei­ne Rol­le mehr.

Bis zum Herbst 1963 hat­te ich also Zeit, viel Zeit. Ich nütz­te und nutz­te sie. Jede Sekun­de mei­nes Lebens war ich dafür dank­bar. Ich bin es heu­te noch. Allen. Die­ser gan­zen schö­nen Erde.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert