Neuberg & Hartberg
Wie ein rotes Fädchen zieht sich die Gegend um Hartberg in der Ost-Steiermark durch einen Teil meines Lebens. Die römische Villa Rustica in Löffelbach gleich unterhalb der Burg Neuberg. Der Eigentümer der Ausgrabungen musste damals noch jeden Besucher persönlich anreden, nur um eine kleine Spende für die Erhaltung und für mögliche weitere Grabungsarbeiten zu erhalten. Egal wie früh oder spät es auch war, er kam immer herüber von seiner “Keusche” in unmittelbarer Nachbarschaft und quasselte – bei Unbekannten – in seinem lokalen Dialekt drauflos. Es schien als wartete er wie ein Luchs auf Besucher, auf Gäste, als ob das Römer-Spiel sein Hauptberuf sei. Für uns Sommer-“Burgbewohner” war das Areal des Grabungs-Geländes eine willkommene Spielplatz-Abwechslung zur Anregung der Phantasie. Die Villa Rustica lebte wieder auf, das Lapidarium, Atrium, Caldarium. Wir waren Römer und Barbaren gleichzeitig. Dann war da die Burg selbst, das Wohnhaus des Försters samt Heurigen, der Kanonenturm. Das alte und das neue Brauhaus in Hartberg. Der berühmte Karner von Hartberg. Das Bad der kleinen Stadt. Die Großtankstelle inklusive Ball- und Veranstaltungszentrum auf der Wechsel-Bundesstraße knapp vor der Ortsdurchfahrt, das Ring-Rasthaus. Jetzt – 2016 – wird an dieser Stelle Richtung Hartberg die Wechsel-Bundesstraße vom Kreisverkehr unterbrochen. Noch während meiner Zeit bei Ö3 war ich dort, im Veranstaltungszentrum, gern gesehener Moderator bei diversen Events und Maturabällen. Und weil mich mit Hartberg so viel Positives verband und verbunden hatte war ich auch immer sehr gerne Gast und Besucher dieser Region.
Da ist Isidor, einer von sommer-monatlich 120 Kindern, die auf Burg Neuberg bei Hartberg abenteuerliche und erlebnisreiche Wochen verleben durften. Wir Ältere verrichteten dort an verlängerten Wochenenden Samariter- bzw. Hilfsarbeiterdienste. Dennoch blieb ausreichend Freizeit. Es war wunderschön dort oben, auf der alten Burg, auf der alten Burg-Ruine. Da gabs eine Original-Kemenate, einen Rittersaal, eine Wendeltreppe und das offizielle Treppenhaus. Eine mittelalterliche Küche inklusive Kräutergarten. Einen wunderschönen Original-Barock-Brunnen im Hof und einen abenteuerlichen Bergfried. Von dessen Zinnen in den frühen Morgenstunden auf ein herannahendes Gewitter zu schauen, das aus der Gegend um die beiden Bad-Gleichenberger Vulkankegel heraufzog, die Blitze noch in weiter Ferne zu beobachten, den Donner mit ziemlicher Verspätung zu hören, das Niedergehen der Regen-Vorhänge zu beobachten und zu erleben- eine Erfahrung für die ich sehr, sehr dankbar bin. Den schwierigen und zugegeben gefährlichen Aufstieg zum höchsten Punkt der Burg haben wir gern in Kauf genommen. Immer wieder überprüften wir den festen Sitz des Gemäuers, wir wollten ja wieder unversehrt auch die nächsten Tage auf Burg Neuberg erleben.
Manchmal mussten wir “aushelfen” beim langen Marsch zu Hartbergs berühmter Ringwarte. Für die ganz Kleinen war die Wanderung zu steil, zu anstrengend, also mussten sie getragen werden. Bergab gings dann schon. Das Verlassen der Burg war immer wieder ein besonderes Erlebnis, an den früheren Befestigungen, den Schießscharten vorbei, den beiden Torverbauten hindurch, über den Burggraben hinweg zum Försterhaus und zum Kanonenturm hinauf. Von dort oben gabs noch einen zweiten Zugang über den Burggraben. Aber der wurde den alten Privat-Bewohnern respektvoll überlassen.
Unter den 120 Sommergästen pro Monat fand sich immer jemand der Geburtstag hatte. Das war für den Rest der Burgbewohner natürlich ein besonderer Tag. Nicht nur wegen der Torte und den Kerzen. Es war die besondere Herzlichkeit der Tanten und Onkels und Köchinnen. Geld war ja nirgendwo in Sichtweite. Dafür gab es in unmittelbarer Nähe Menschlichkeit, sehr viel davon. Und viel Mitgefühl. Das Hinhören und Mithören spielte eine große Rolle. Die Art des Schlafens etwa in den Schlafsälen war sehr aufschlussreich und führte manchesmal zu stundenlangen Diskussionen. Die Wanderungen, die Spiele in freier Natur, in den Wäldern und Wiesen, das Zählen der Sternschnuppen in diesen Nächten, die Lagerfeuer – alles das ist unvergesslich, ist Bestandteil meines Lebens, meines Ist. Das einzige und realistische Ist. Dieses Ist wird niemals ein War.
Und natürlich hatten wir Träume. Wir versuchten diese im gigantischen Dachboden der Burg wahr werden zu lassen oder zu artikulieren oder weiter zu träumen. Da oben war Platz für alles, da gab es Luft und Raum. Da gab es keine Enge, da verpufften die Aggressionen, da wurde es leicht, Angerührtes zu formulieren. Dahin konnte man sich zurückziehen und nachdenken und Sachen überdenken. Und überhaupt, wenn der Regen auf die Schindeln trappezte und klopfte und man im Trockenen saß oder auf und ab ging über den staubigen Estrich und irgendetwas vor sich hin flötete oder pfiff. Diese Dachboden-Hallen hatten es in sich!
Noch etwas bindet mich an die Gegend um Hartberg. Ich war damals gerade bei Ö3. Und anlässlich eines Events in Hartberg sprachen mich zwei jüngere Burschen an und konfrontierten mich mit einem Projekt, welches sie in einer Ortschaft namens St. Magdalena am Lemberg hätten. Das sei nicht weit von hier. Um diese Zeit entstand gerade “Da Hofa” von einem Musikanten namens Wolfgang Ambros bei Müllers Sound-Studio in der Wiener Herbststraße. Das war eigentlich ein Ton-Keller, den man zunächst einmal finden musste. Aber was da raus kam, war tatsächlich sensationell. Zu Österreichs Kulturgeschichte gehört nicht nur der “Hofa”, sondern natürlich auch das Original von “Der Watzmann ruft” , entstanden in diesem Ton-Keller. Jedenfalls wollten die beiden Jungmänner die ost-steirische Szene ein wenig beleben. Und so vermittelten “Pipsi”, ein damaliger Konzertmanager, und ich das erstmalige öffentliche Auftreten von W. Ambros. Als Probelauf sozusagen. Ohne auch nur groß darüber zu reden. Bis auf die Region Hartberg und St. Magdalena am Lemberg. Hier hingen schon ein paar Plakate. Es ging auch ziemlich gut, bis auf den Moment, wo in dem einfachen Dorf-Gasthaus Applaus aufbrandete und der davon geschockte “Wolfi” die Gitarre Gitarre sein ließ, den Hinterausgang der improvisierten Bühne fand, und in einem klebrigen Maisfeld verschwand. Dort fand ihn etwas später seine damalige Freundin. Für uns alle war dies absolutes Neuland. Wir hatten schon gelernt und erfahren, wie man mit Applaus umzugehen hatte, wir konnten Zustimmung schon ein wenig manipulieren. Wir hatten mit öffentlichen Auftritten, mit Publikumsreaktionen erwachende Routine, mit Reaktionen von Noch-Nicht-Stars allerdings hatten wir keinerlei Erfahrung. Wir mussten erst alles, buchstäblich Alles, erfahren, lernen, erleben. Es gab ja nichts an das wir uns halten konnten. Moderatoren etwa – damals hießen wir ja noch “Conferenciers” – hatten auf Bühnen ganz ruhig zu stehen, durften sich kaum bewegen, das Publikum hatte ja auf einen Punkt zu starren! Punktum und Schluss!
Mittlerweile sind einige Jährchen über die Region hereingebrochen und die Burg ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Nach der Herberstein-Operette, die ja als Malaise endete, verfiel sie in Privatbesitz und war lange Zeit nicht zugänglich.Das Toben, Singen und Lachen, manchmal auch das Schreien und Rufen der Kinder aus dem uralten Mauerwerk über die Sommermonate war verstummt.
Der Nachfolger öffnet jetzt die Burg langsam und vorsichtig. Für Freunde und Bekannte zunächst. Es ist ein wahrer oststeirischer Genuss an speziellen Tagen. Für den musikalischen Rahmen sorgte 2017 etwa das Karl “Charly” Ratzer Trio. Wer Charly kennt, weiß das zu schätzen.
Möglicherweise erfüllt wieder einmal fröhliches Kinderlachen, aufmunternde Vitalität die hehren Hallen des “Schlosses”, das ja immer eine Burg war. Bestandteil eines Befestigungsrings in der Ost-Steiermark von der Riegersburg im Süden bis hin nach Kirchschlag in der Buckligen Welt im Osten. Davon abgesehen bleiben nur mehr die Bilder von damals als Erinnerung. Als Erinnerung an Freundinnen und Freunde, alte und junge Bekannte. An Zeit-Zeugen.
Eines schönen Sommer-Nachmittags im Jahre 2015. Ich fuhr mit meiner Gattin über einige Gemeindestraßen der sehr schön und gut entwickelten Ost-Steiermark. Da tauchte plötzlich ein Wegweiser mit der Aufschrift “St. Magdalena am Lemberg” auf. Und schon war ich mittendrin in den Ereignissen rund um Hartberg und Schloss oder Burg Neuberg, auch wenn alles nur annähernd das war, was es einmal war – es hat sich sehr viel gebessert. Die Lebensbedingungen, sozial und ökonomisch, und vor allem politisch. Wir sind in diesen wenigen Jahren seit 1945, vor allem in den Jahren seit 2000 globaler geworden, so wie wir es uns als Jugendliche vorgestellt haben, vor sechzig Jahren oder siebzig. Wir haben es tatsächlich erlebt. Es war und ist noch immer ein ganz epochales Erlebnis und Ereignis. Erstmals in der europäischen Geschichte. Bis dato hat es ununterbrochen nur Kriege, Tod und Verderben gegeben. Weltweit. Egal ob zu Land oder See. Es war Weltkrieg. Das war der “europäische” Alltag. Wir haben ihn überwunden. Und arbeiten hart daran, ihn auch dort zu halten.