Ein leeres weißes Blatt Papier war irgendwo noch vorhanden. Und genau dieses eine weiß-jungfrauliche Papier zündete ganz impulsiv-initial. Diese unberührte Weiße mußte doch irgendetwas transportieren können, unsere mentalen Einstellungen, Ideen, Beschreibungen, unsere augenblickliche Zustände. Was dieses Weiß transportieren wollte oder konnte oder musste, war also noch nicht definiert. Eines jedenfalls war den vor der Unberührtheit Versammelten bereits klar: Der in Planung befindliche Transport mußte ohne traditionelle Hilfsmittel erfolgen, also ohne Pinsel oder Stifte, ohne Pastell- oder Wasserfarben. Die im Club Symposion Anwesenden blickten suchend umher. Da standen ein paar leere und noch nicht ganz geleerte Flaschen und Fläschchen herum, gesäuberte leere und teilweise auch wieder gefüllte Aschenbecher, schreibbereite Filzstifte samt Inlet, vor allem aber Waxa! Zur Bodenpflege. Dass diese pastenartige Crème überhaupt in das männliche Bewußtsein vorgedrungen war, beweist die Teilnahme von Frauen an unserem Creativ-Verbund. Dieses Waxa verband sich ausserdem vorzüglich mit der Zigarren- und Zigaretten-Asche, mit Zigarettenstummeln und mit dem Inlet der Filzstifte! Es wurde eine lange Nacht, diese Nacht des Kunst-Transports. Draussen wurde es bereits hell, es graute schon der Morgen. Wir waren mit unserem Kunstwerk fertig, wir hatten erreicht was wir wollten. Wir traten hinaus in die Morgendämmerung, traten hinaus in die Trauttmansdorffgasse vor unseren Club. Unweit davon, neben dem Künstlerhaus am Burgring, hatte die Ausstellungsleitung, die “Neue Galerie”, einen haushohen Zylinder aus Holz errichtet, umhüllt von Kunststoff-Folie. Dass dieser Stoff Meere und Seen füllen sollte – wer hätte sich das träumen lassen, damals. Wir hefteten das Kunstwerk in unmittelbarer Nähe des Redner-Podestes durch die Folie an die Bretter, welche in diesem Falle einen grossen Teil der Welt bedeuteten. Und natürlich hofften wir, dass unser Kunst-Transport durch die Optik der Fotografen und Kameraleute auch interessierte Leser und Schauer erreichen würde. Erst in diesem Augenblick wurde uns bewußt, dass es Provokation war, was wir vorhatten. Dass wir allerdings eine solche Diskussion auslösen würden, damit hatten wir nicht gerechnet. Ist dieses Plakat, dass sich ausserhalb der “trigon” präsentierte, zur “Kunst” zu zählen, oder ist das nur Kunst, was sich innerhalb der “trigon” darstellte? So und ähnlich lauteten die Schlagzeilen, wurde diskutiert. Sogar das Fern-Sehen gab Feed-Back. Alle waren da. Die Initiatoren der trigon, Univ.-Prof. Dr. Hanns Koren und Wilfried Skreiner, sogar der Bundespräsident so viel ich mich erinnern kann. Nur wir nicht, wir hatten anderes zu tun, wir sahen uns verpflichtet, uns auf unsere Zukunft vorzubereiten. Wir hatten Fecht- oder Ballettunterricht, dramatischen Unterricht, der ja manchmal nicht einer gewissen Dramatik entbehrte, vielleicht hatten wir bloß Vorlesungen in Literatur- und Theatergeschichte oder mussten uns mit Sprech- und Atemtechnik auseinandersetzen. Jedenfalls hatte das alles absolute Priorität vor dem Festhalten der Gegenwart.
Obwohl ich die Beschäftigung mit dem Alltäglich-Gegenwärtigen schon als “sehr engagiert” bezeichnen muß. Es bereitete etwa unbändiges Vergnügen an der Ecke der Grazer Herrengasse mit der Hans-Sachs-Gasse das Verkehrszeichen “Achtung! Fussgänger” durch ein täuschend ähnliches zu ersetzen, welches eindringlich vor “aufgescheuchten Hühnern” warnte. Und das erledigten wir noch dazu an einem äußerst belebten Samstag-Vormittag. Ich war dazumal zwar “nur” als einer der Sicherungsposten eingesetzt, dennoch bereitete es mir Vergnügen. “Funk”-Streifen existierten damals ausschließlich in kühnsten Träumen, alles wurde lediglich zu Fuß ergangen und erplaudert und erfragt. Ich kann mich noch an die offenen Mannschaftswagen der Polizei erinnern, als die Mannschaften mit aufgeschnalltem Stahlhelm und schussbereitem Karabiner in der frischen Luft saßen und zum Einsatz kutschiert wurden. Die Polizei trug damals noch lange, grüne Mäntel, bis übers Knie reichende, schwere, lange Mäntel. So gesehen waren sie, vor allem in der kälteren Jahreszeit, schon sehr behindert. Nicht Behinderung sondern Aufbruch sollte die Idee der Dreiländerbiennale “trigon” signalisieren. Entstanden im Umfeld des Chruschtschow-Besuches der Steiermark 1960, des Abkehrens und Aufweichens des Moskau-Kurses Titos, des Begründers der “Dritten Front”, der Bewegung der Blockfreien, wurde die “trigon” das erste Mal gemeinsam mit Italien 1963 durchgeführt. Dunkel kann ich mich noch an dieses Jahr 1960 erinnern, an die Übernachtung Chruschtschows im Schloss Eggenberg in dessen Prunksaal wir Jährchen später als “Junges Theater” auftreten würden. Ich hatte diese Übernachtungsinformation von meinem Vater, woher er sie hatte, daran kann ich mich nicht mehr entsinnen. Jedenfalls war ich mit einer ganzen Riege von jungen Burschen – anscheinend unsere damalige Gymnasialklasse – zu Gast in der Hotelfachschule Bad Gleichenberg, wo wir alles das aufgetischt bekamen, was die Entourage Chruschtschows und er selber verständlicherweise übrig gelassen hatten. Und das hatte es in sich! Wir aßen kubikzentimeterweise, den Wein genossen wir tröpfchenweise! Das “Slow Food” haben wir damals schon um einen ganzen Dachstein übertroffen und das mit unseren fünfzehn Jahren in der österreichischen Nachkriegsgeschichte. Dieses Festmahl und das Hochzeitsmahl um vieles später im heutigen Slowenien gemeinsam mit Dieter Dorner hat sich auf ewig in mir festgesetzt. Man brachte uns damals in wenigen Minuten bei, Wein zu “verköstigen”, nicht einfach nur Roten oder Weissen zu trinken, wie dazumal üblich in den Restaurants und Wirtshäusern. Wir haben wirklich jeden Tropfen genossen, jeden Tropfen! Es war jedenfalls ein echtes, wahres Freudenfest für unsere Geschmackssinne! Dieses Geschmacksfest in Verbindung mit der “trigon” war auch der Grund, warum ich so motiviert war in Bezug auf die Alpen-Adria-Initiative etwas später in Kärnten. In den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich einmal neben C.F. Peturnig sitzen und seine Texte zu dieser drei-Länder-Initiative wiedergeben werde. C.F. ist leider viel zu früh von uns gegangen, musste von uns gehen. Seinen letzten Weg im Wiener Allgemeinen Krankenhaus hat er noch aufgezeichnet. Als Tondokument. Mithilfe eines “Nagra”. Als Leihgabe von Studio Kärnten. C.F.Peturnig war aber nicht nur ORF-Redakteur. Er war auch begnadeter Lyriker, Arbeiter-Lyriker. Eigentlich müßte jenes AKH-Tondokument noch existieren. Hoffentlich.