Nach der intensiven Erforschung der Hochschwab-Region, der Entdeckung des Umlandes des katholischen Mariazell, des Umfeldes von Graz, von Süd- und Ost- und West-Steiermark und Mitterndorf ist als nächster Schritt auch noch das Zentrum Österreichs hinzu gekommen. So lernte ich das Land und die Leute kennen, die hier lebten und arbeiteten, die ihre Existenz hier hatten, in den vielen kleinen, unterschiedlichen Dörfern mit ihren kulturellen Eigenheiten und unterschiedlichen Dialekten. Heute – imJahre 2016 – ist nicht mehr viel geblieben von alldem aus dem Jahre 1955. Die vielen kleinen Dörfer sind ziemlich groß geworden und um Einiges gepflegter und der Lokalkolorit ist einer hochgelauteten Umgangssprache gewichen. Wie sich überhaupt beinahe weltweit diesbezüglich einiges verändert hat. Es gibt tatsächlich eine Art internationale Sprache. Sogar in Russland und China sieht man immer öfter zweisprachige Schilder. Kyrillisch und Englisch und Chinesisch. Ich meine das, was man gemeinhin als “englisch” bezeichnet. Grammatikalisch hat diese Sprache nicht viel mit dem “Englischen” oder “Amerikanischen” zu tun, in der gesprochenen Variante sowieso nicht, aber man kann sich verständigen,und zwar ohne Missverständnisse. Über diese Entwicklung bin ich persönlich sehr, sehr froh. Ist es doch der Beweis dafür, dass es realiter möglich ist, in einer etwas besseren, einer etwas schöneren Welt zu existieren. Trotz allem. Und das noch dazu in einigen wenigen Jahren. In den Jahren, die seit den 1950ern verstrichen sind.
Alle Wissensbegierigen möchte ich an dieser Stelle einladen, teilzunehmen an der Rundfahrt durch das Zentrum Österreichs in diesen Jahren. Es war für Menschen in meinem Alter tatsächlich ein Abenteuer, Ortschaften und Gegenden zu erleben mit lokalen Leuten, die in der Fremde lebten, Menschen kennenzulernen, welche auch in diesem Land lebten, das wir “Österreich” nannten, aber damals nur als Graz und Steiermark begriffen. Und plötzlich wurde dieses Land etwas größer.
Übrigens: Was heißt das schon, “Ich entdecke Uns”? Meine Mutter, mein Vater, meine, unsere Familie, die Leute mit denen wir das Haus in der Steyrergasse 69 in Graz bewohnten, wo wir gearbeitet haben? “Wir arbeiteten” stimmt nicht ganz. Es waren ja nur zwei Familien die hier “gearbeitet” haben: Meine Eltern und Familie Fiedler, die Hausbesorger. Alle anderen, vor allem die Männer, haben hier ja nur geschlafen, die Mütter haben damals – unentgeltlich – Hausarbeit verrichtet, haben hier also geschlafen und gearbeitet. Heute hat man das Letztere dem Dienstleistungssektor – auf gut steirisch – “zuawibeitlt”, hinzu gebeutelt. Damit wurde man den ökonomischen Träumen schon ziemlich nahe hin entwickelt.
Dass Arbeit irgendwie mit unserem Leben zusammenhängt, ganz und gar nicht zu trennen ist, hatte ich schon mitbekommen. Ich hatte ja auch gearbeitet, land- und forstwirtschaftlich, kaufmännisch, schülerisch, zirkustechnisch als Hilfsarbeiter. Ja. Jede Menge Arbeit wartete da auf mich. Aber da gab es doch noch was, was nur im weitesten Sinne nach “Arbeit” roch, aber was ich fürchterlicherweise sehr, sehr gerne tat. Was man offiziell nicht zugeben durfte, weil es ja nicht als “Arbeit” gemeinhin angesehen wurde. Musizieren etwa diente nur anderen zur Unterhaltung, auch wenn es in die Sparte der “ernsten Musik” fiel. Und dazu musste der “Musiker” noch dazu geeignet sein, zum Beispiel musste er “musikalisch begabt” sein und Noten lesen können und ein Instrument beherrschen. Mandoline etwa, wie meine Mutter. Dazu benötigte man allerdings Jahre. Oder man gehörte zu jenen Privilegierten, die “Musik machen” durften, als Dirigent oder Komponist etwa, aber das ist wieder mal ein anderes, neues Kapitel.
Oder man “schrieb”, das heißt, man setzte sich hin, dachte nach und schrieb das nieder, was einem da einfiel, was man sich da gerade dachte und was man mitteilen musste, vielleicht auch nur wollte. Ein Gedicht dachte ich mir da aus. Ein Gedicht, dessen Thema eine der vielen Hochschwab-Wanderungen war. “Auf der Ålm”, so lautete der Titel. Wobei das A mit einem kleinen Kreis drüber geschrieben wurde. Denn dann wurde das A auf halbem Wege zum O gelesen. Das wusste ich schon und war ganz stolz auf dieses Wissen. Damals ging ich gerade in die zweite Klasse der Volksschule Wielandgasse in Graz. Und als unsere, von allen geliebte Frau Volksschul-Lehrerin das Gedicht in meinem Schulheft entdeckte, musste ich sofort aufs Lehrer-Podest – das gab es damals noch – um das Oevre vor der ganzen Klasse vorzutragen. Das gelang auch ganz hervorragend. Die Mitschüler – damals waren wir ja noch getrennt, Weiblein und Männlein – die Mitschüler also waren still und stumm. Das war der Moment, wo ich das “Uns” entdeckte, wo sich das Kopieren, das Nachmachen der Verhaltensweisen von Eltern und nächstliegenden Erwachsenen, wo sich das “Ich” zum “Uns” manifestierte und sich bis in die Gegenwart weiterentwickelt, viele, sogar sehr viele Ebenen mit einschloss und einschließt.