Die Glockenstube

Vier Löcher im Him­mel des Tur­mes. Da hin­gen ein­mal vier Sei­le her­ab. Zug­sei­le. An denen hin­gen vier Jugend­li­che. Man­ches Mal auch mehr. Immer sonn­tags. Es war ja auch ein Mords­spass. Das Läu­ten der Glo­cken hoch über uns. Wenn jemand an einem der Sei­le zog, konn­te er sicher sein, gehört zu wer­den. In der gan­zen Gegend. Mög­li­cher­wei­se sogar am Grim­ming! Ich zie­he an einem Seil und der Ton, den ich damit von der ent­spe­ch­en­den Glo­cke los­lö­se wird rund­um­her gehört. Die Glo­cke und ich tei­len uns mit, einer Viel­zahl von mehr oder min­der frei­wil­li­gen Hörern. Das kann etwas Pani­sches sein oder etwas Beru­hi­gen­des. Oder etwas ganz Katas­trö­phli­ches, wenn alle vier Zug­sei­le betä­tigt wer­den. Wenn alle Vier ihre Stim­me erschal­len las­sen. Wenn alle Vier sich laut­hals äußern, ihre vol­le Reso­nanz tönen lassen.

seilfuehrungen
Die Füh­run­gen der ehe­ma­li­gen Glocken-Zugseile.

Den “Glöck­ner von Not­re Dame” hab ich damals schon gekannt, aber was das heißt, Glöck­ner zu sein, was das bedeu­tet, das wuss­te ich bei wei­tem nicht. Ich wur­de damals sozu­sa­gen “ein­ge­weiht” in die Geheim­nis­se der eli­tä­ren Grup­pe der Mit­tern­dor­fer Glo­cken­bu­ben. Ich durf­te in die Glo­cken­stu­be, ich durf­te in das Herz der Kir­che. In das Inners­te jeg­li­cher Lit­ur­gie. Ich durf­te hin und wie­der sogar das dünns­te und leich­tes­te der Zug­sei­le zie­hen. Und schau­te dabei vol­ler Bewun­de­rung den grö­ße­ren und älte­ren zu, beob­ach­te­te sie ganz genau, wie sie mit dem Glo­cken­ge­tö­ne spiel­ten, wie sie mit­tels Seil die metal­li­schen Ein­rich­tun­gen hoch im Turm instru­men­ta­li­sier­ten, zum Tönen und Klin­gen und Vibrie­ren brach­ten. An ganz bestimm­ten Punk­ten des Hand­lungs­ab­lau­fes da drin­nen im Kir­chen­schiff. Es saßen ja alle im sel­ben Boot. Und sie alle hör­ten die Mei­nung und Über­zeu­gung des Einen, der da von der Kan­zel zu ihnen hin­ab sprach. Nicht nur jeden Sonn­tag. Unter­stri­chen wur­de Er nur sonn­tags von den Glockenbuben.

Da lie­fen sie senk­recht nach oben. Die Wän­de hin­auf und hin­un­ter, man­ches­mal auch hori­zon­tal, hin­gen sich zu zweit oder zu dritt am größ­ten und dicks­ten Zug­seil mit dem größ­ten und dicks­ten Abschluß­kno­ten am Seilende.

Die Glockenstube vn Bad Mitterndorf 2016
Die Glo­cken­stu­be im Jahr 2016.

Sie waren schein­bar schwe­re­los, schie­nen durch die Stu­be zu schwe­ben, getrie­ben von der Ener­gie der Glo­cken, die ihre Kraft wie­der­um in Abhän­gig­keit von der jewei­li­gen Glo­cken­grö­ße in bestimm­ten Ryth­men von den Buben beka­men.
Nie war da ein­mal Läu­ten zu viel. Es wur­de immer genau­so viel geläu­tet, wie man auch läu­ten soll­te. Anschei­nend gab es genaue Regeln dies­be­züg­lich. Um das Läu­ten zu stop­pen hin­gen sich meh­re­re Buben in das Füh­rungs­seil, wenn das einer allein nicht schaf­fen soll­te oder wenn damit zu rech­nen war, dass er das nicht schaf­fen konn­te. Damals war nichts in der Glo­cken­stu­be bis auf die an ihrem Ende jeweils ver­kno­te­ten Füh­rungs­sei­le der Glo­cken zu sehen. Alles ande­re hät­te nur das Hand­werk der Glo­cken­bu­ben gestört. Sie wuss­ten genau wann was und wie zu tun war. Ich bewun­der­te nur so neben­bei, ich woll­te die­ses Wis­sen auch und ich wuss­te sehr bald. Ich ließ mir die gan­ze lan­ge Geschich­te des Glo­cken­läu­tens erzäh­len und erklä­ren. Das auto­ma­ti­sche elek­tri­sche und gar elek­tro­ni­sche Läu­ten war damals noch weit weg, sogar sehr weit weg. Obwohl das Gedrän­ge und das Sich-Scha­ren um Kir­chen schon längst der Mobi­li­tät gewi­chen war.

Links im Bild der Zugang zur Glockenstube.
Links der Zugang zur Glockenstube.

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