Im Brandhof

Der “Brand­hof” – jedem wah­ren, ech­ten Stei­rer ein Begriff wie Brot, Kern­öl oder Bier oder die Mur. Mit dem “Brand­hof” ist man damals, in den Jah­ren nach 1945, auf­ge­wach­sen. Der “Brand­hof” wur­de, war und ist Bestand­teil des Lebens in der grü­nen Mark. Schon als Klein­kin­der wuss­ten wir, dass die­ser Hof ein grö­ße­res Gehöft war und noch immer ist, und irgend­ei­ne Rol­le spiel­te im Geschichts­ab­lauf unse­rer Hei­mat und wir wuss­ten, wo unge­fähr die­ses Anwe­sen lag und liegt. Schlag­ar­tig trat es ins kon­kre­te Bewusst­sein mit Beginn des Kon­fir­man­den-Unter­richts für den evan­ge­li­schen Teil der Schü­ler des Pes­ta­loz­zi-BRG, also mit 14 Jah­ren: Die Rau­cher­schu­le von Bad Mit­tern­dorf (sie­he Band 1/Die Rau­cher­wur­zel) setz­te sich fort in einem nach dem Ori­gi­nal benann­ten Restau­rant. Bei­na­he naht­los und mit Vehe­menz. Die­ser “Brand­hof” befin­det sich an der Ecke Luther­gas­se / Gleis­dor­fer­gas­se in Graz. Im Haus gegen­über, auf der ande­ren Stra­ßen­sei­te der Luther­gas­se befand sich der Ort des Kon­fir­man­den-Unter­richts, im ers­ten Stock des Gebäu­des dort. Die­ses Gebäu­de hat­te nur Fens­ter zur Luther­gas­se hin. Gleich­zei­tig war dies auch die Heim­statt unse­res “Krei­ses”, des wöchent­li­chen Don­ners­tag-Abend-Treff­punkts. Als “Kreis” bezeich­ne­te man unse­re Grup­pe im Rah­men der evan­ge­li­schen Jugend. Der Zugang zu den Räum­lich­kei­ten unse­res “Krei­ses” erfolg­te über den Kai­ser-Josef-Platz. Neben dem Ein­gang zur Kir­che befand sich die Haus-Tür zu den Gebäu­den und Räu­men der evan­ge­li­schen Gemein­de der Hei­lands­kir­che in Graz. Über den Hof gelang­te man in “unse­re” Räu­me. Erst betra­ten wir einen klei­ne­ren, soge­nann­ten “Ein­ach­ser” mit nur einem Fens­ter, dann folg­te der grö­ße­re, der “Zwei­ach­ser”, mit zwei Fens­tern. Aus den Fens­tern sahen wir genau in den Gast­gar­ten des “Brand­hof”. Eine Zeit lang konn­ten wir nicht nur wet­ter­mä­ßig erfolg­reich wider­ste­hen. Aber dann wur­de es bereits wär­mer, die ers­ten Gäs­te saßen des Abends schon im Gar­ten, hei­ter und fröh­lich. Drei oder vier von uns fass­ten sich ein Herz und betra­ten den ver­füh­re­ri­schen Gast­gar­ten des “Brand­hof”. Wir tran­ken Cola. Ein Glas. Aber dann, ja dann luden uns ein paar Erwach­se­ne ein, auf je ein Glas Bier, auf ein ech­tes Stei­ri­sches, und auf ein zwei­tes. Für das ers­te “Sei­terl” benö­tig­ten wir trotz der vie­len Ant­wor­ten, die wir den Erwach­se­nen geben muss­ten, nicht so lan­ge, denn da spiel­te schon das bischen Durst eine Rol­le. Immer­hin hat­ten wir ja eine soge­nann­te “Bibel­stun­de” hin­ter uns, in der auch heiß dis­ku­tiert wur­de. Für das zwei­te “Sei­terl” brauch­ten wir etwas län­ger. Die­ses zwei­te Glas muss­ten wir rich­tig “trin­ken”, der rea­le Durst war ja bereits gelöscht. Als wir uns kurz dar­auf vom Tisch erho­ben taten wir uns sicht­lich schwer. Solan­ge wir ein­fach nur dasa­ßen war nichts zu bemer­ken. Aber im Ste­hen schwank­te unse­re Umge­bung, die Tische und Ses­sel und Türen und Lich­ter. Das fan­den wir inter­es­sant und bemer­kens­wert und mach­ten unse­re Scher­ze dar­über. Wir ver­ab­schie­de­ten uns von unse­ren ver­meint­li­chen Gön­nern mit lus­ti­gen Sprü­chen auf den Lip­pen und wank­ten zur Gar­ten-Sei­ten­tür hin­aus, hin­aus in die Luther­gas­se. Das Schwan­ken der Umge­bung wur­de prompt etwas stär­ker. Als wir eini­ge Meter geschwankt waren, schien uns ein Kanal­git­ter in der Fahr­bahn-Mit­te der Luther­gas­se anzu­zie­hen. Wir ver­spür­ten einen leich­ten gemein­schaft­li­chen Drang in unse­ren Nie­ren-Regio­nen, der immer stär­ker wur­de, je näher wir dem Stra­ßen­ka­nal kamen. Wir hät­ten sicher gleich im “Brand­hof” die Toi­let­te besu­chen kön­nen, hat­ten aller­dings schwer­wie­gen­de Hem­mun­gen und erst das Kanal­git­ter erschien uns als Erlö­sung. Und so bil­de­ten wir einen Rah­men um und für das Git­ter. Dazu muss man noch bemer­ken, dass Graz – wie ganz Öster­reich – um die­se Zeit fast aus­ge­stor­ben war und kaum ein Fahr­zeug sich auf den Stras­sen befand. Die Bevöl­ke­rung gab sich dem Fern­se­hen hin, das war ja wirk­lich etwas Neu­es! Das muss­te man genie­ßen, und wenn es beim Nach­barn oder in irgend­wel­chen Café-Häu­sern war. Wenn mög­lich mit vor­ge­schal­te­tem Farb-Foli­en-Schirm! Künst­lich, klar. Fern­se­hen war in die­ser Zeit grau-weiß, Far­be war uto­pisch! Um wenigs­tens ein wenig Far­be ins TV-Leben zu brin­gen, mon­tier­te man raf­fi­nier­te Foli­en vor den ana­lo­gen Fern­seh-Bild-Schirm mit sei­nem Zei­len-Schalt-Gerät. Jedes ein­zel­ne Bild wur­de damals noch in sei­ne Bestand­tei­le, in Grau­wer­te, zer­legt und durch einen ein­zi­gen Katho­den-Strahl auf das Inne­re der Bild­röh­re gewor­fen, in ein­zel­nen Zei­len, in jeder Sekun­de. Klar, dass man auf die­se Art bald schon ans Ende der Gedan­ken und Ideen gesto­ßen wur­de! Öster­reich war damals also dabei, das Fern­se­hen zu ent­de­cken, so wie man heu­te den Rech­ner-Ver­bund des Inter­nets ver­meint­lich ent­deckt. Das Fern­se­hen selbst war der “Stra­ßen-Feger”. Das heißt, es war fast kein Fahr­zeug unter­wegs. Bis auf ein­sa­me Stra­ßen­bah­nen und Büs­sing-Auto­bus­se. Die Stras­se gehör­te uns allei­ne. Uns und den soge­nann­ten “Stu­den­ten-Ulks”. Für die­se Art Humor war Graz damals berühmt-berüch­tigt. Es war doch die Stadt der Stu­den­ten. Mög­li­cher­wei­se glaub­ten wir dar­an, dass das gemein­sa­me Was­ser­las­sen in den Stras­sen-Kanal ein sol­cher Ulk war. Wir fan­den es jeden­falls sehr lustig.

Die­ses Ereig­nis mani­fes­tier­te den Beginn unse­rer Trin­ker-Schu­le, der ech­ten und wah­ren stei­ri­schen Bier-Trin­ker-Schu­le. Eigent­lich wech­sel­te ich ja von der Pha­se I der prak­ti­schen Lebens­er­fah­rung hin­über in die Pha­se II. Ich erwei­ter­te mei­nen ober­stei­ri­schen Magis­ter Nico­ti­nen­sis nach Absol­vie­rung der Rau­cher­schu­le von Bad Mit­tern­dorf um den Titel eines  Magis­ter Alco­ho­len­sis des Gra­zer Semi­nars für das Trin­ken von Bie­ren und sons­ti­gen Geträn­ken – ich war also Mag. nic. & alc. Den “Brand­hof” funk­tio­nier­ten wir ganz ein­fach um zum Trin­ker-Semi­nar-Raum. Die Erwach­se­nen von damals lie­ßen es aller­dings bein­hart und herz­los bei den zwei Glas Bier bewen­den. Die­se zwei Glas setz­ten immer­hin eine Kom­bi­na­ti­on aus Lawi­nen und pazi­fi­schen Tsu­na­mis inklu­si­ve atom­ex­plo­si­ons­ähn­li­che schick­sals­haf­te Ereig­nis­se in Bewe­gung. So sorg­ten wir etwa in wei­te­rer Fol­ge für die erfolg­rei­che Ver­tei­di­gung des Titels eines Prä­si­den­ten des “Ers­ten Öster­rei­chi­schen Stie­fel­trin­ker­bun­des”. Wobei die zwei Liter Gers­ten­saft in einem ein­zi­gen Zug hin­un­ter­ge­spült wer­den muss­ten. Aus dem glä­ser­nen Zwei-Liter-Stie­fel kann man übri­gens nur trin­ken ohne das Bier über sich selbst aus­zu­schwap­pen, indem man die Stie­fel­spit­ze nach unten rich­te­te. Ele­ven wur­den beim Trin­ken scharf und vol­ler Hoff­nung auf Scha­den­freu­de beob­ach­tet. Und selbst­ver­ständ­lich durf­te man den Stie­fel voll des köst­li­chen Bie­res nur mit einer Hand stem­men, indem man ihn an der schmals­ten Stel­le griff. Natür­lich bekam man fast in jeder Gast­wirt­schaft die nor­ma­len, ordi­nä­ren Zwei-Liter-Krü­ge, aber der gefüll­te gro­ße Stie­fel war schon etwas Beson­de­res. Der “Brand­hof” hat­te einen sol­chen. Er hat­te auch einen ganz beson­de­ren Ober. Einen ech­ten und im Jah­re 1956 vor den Sowjets leib­haf­tig geflüch­te­ten Ungarn. Janosch hat­te hier, im “Brand­hof”, die Siche­rung sei­ner Exis­tenz gefun­den. Er war sehr dank­bar und wen­dig und flink und brach­te uns die hohe Schu­le des Essens und Trin­kens in der Gas­tro­no­mie und damit auch in der Gesell­schaft bei. Nicht nur, dass er mir wöchent­lich mein gelieb­tes “Beuschel mit viel, viel Sem­meln und ohne Knö­del” mit einem klei­nen Häub­chen Sau­er­rahm ser­vier­te, er lehr­te uns auch den Rei­fe­zu­stand von Camem­bert zu über­prü­fen und wie und womit man denn die­sen “Schim­mel­pilz­kä­se” am bes­ten genießt, ser­vier­te uns den köst­li­chen geba­cke­nen Emmen­ta­ler oder das damals als Her­ren­gu­ly­as benann­te Gulasch mit Würs­tel, Gur­kerl und Spie­gelei. Und natür­lich “viel, viel Sem­meln”. Beson­ders in Erin­ne­rung blieb und bleibt mir immer noch die Fleisch­stru­del­sup­pe mit “viel” Schnitt­lauch. Außer­dem die obli­ga­to­ri­schen geba­cke­nen Cham­pi­gnons mit Sau­ce Tar­ta­re und so wei­ter und so fort. Janosch schien auf einer Wol­ke des Lächelns zu schwe­ben, des leich­ten Lächelns. Die­ses Lächeln konn­te man ahnen, nicht sehen. Er konn­te aller­dings auch sehr, sehr bestimmt sein. Über­haupt war er sehr ziel­ge­rich­tet. Den “Brand­hof” samt sei­nen Gäs­ten hat­te er jeden­falls im Griff. Er war auch bereit, was er bis­her erfah­ren muss­te, wei­ter­zu­ge­ben, war nicht böse, war tole­rant und men­schen­freund­lich trotz allem, was er auf sei­ner Flucht und zuvor alles hat­te erle­ben müs­sen. Indem ich ihn beob­ach­ten durf­te, wie er sich mit den unter­schied­lichs­ten Men­schen abgab und nie die Über­sicht ver­lor, begriff ich erst, dass ich durch sei­ne unbe­wuss­te Hil­fe noch viel mehr erfah­ren konnte.

Maskenball im "Brandhof" Anfang der 1960er-Jahre. Elisabeth Wondrak (Kunstakademie), "Mumie" Günther Schmidt-Corten (evang. Jugend) und Meinrad Nell. Im Vordergrund ausnahmsweise ein ganz "normaler" Bierkrug.
Mas­ken­ball im “Brand­hof” Anfang der 1960er-Jah­re. Eli­sa­beth Wond­rak (Kunst­aka­de­mie), “Mumie” Gün­ther Schmidt-Cor­ten (evang. Jugend) und Mein­rad Nell. Im Vor­der­grund aus­nahms­wei­se ein ganz “nor­ma­ler” Bierkrug.

Da gab es bei­spiels­wei­se mein berühm­tes Wech­sel­spiel mit dem Kana­di­schen Dol­lar. Über Jah­re hin­weg. Zu Ende gewech­selt war der Dol­lar erst, als ich nach Kärn­ten über­sie­del­te. Lan­ge vor mei­ner Zeit als Brand­höf­ling, in mei­ner Schul­zeit, wäh­rend des Besuchs der Ober­stu­fe, hat­te ich zwei Brief­freun­din­nen, eine in Finn­land, in der bekann­ten Hafen­stadt Pori, und eine in Kana­da, in Toron­to, Onta­rio. Die Kana­die­rin schick­te mir irgend­wann ein­mal zu Weih­nach­ten eine 1‑Dol­lar-Note als Geschenk, als Glücks­brin­ger. Als sol­chen behan­del­te ich die­se Bank­no­te auch. Sie bekam in mei­ner Bör­se hübsch zusam­men­ge­fal­tet ihren ganz beson­de­ren Platz. Ein paar Jah­re lang hielt sie sich dort. Solan­ge bis mich Janosch vom “Brand­hof” auf die Idee kom­men ließ den Noten-Wert die­ses Glücks­brin­gers in öster­rei­chi­sche Schil­ling ein­zu­tau­schen. Natür­lich nur dann, wenn ich im Lau­fe des Monats Bedarf danach hat­te. Zu Beginn des Fol­ge­mo­nats könn­te ich den Kana­da-Dol­lar ja wie­der als Glücks­brin­ger zurück­kau­fen. Der Dol­lar war damals acht­und­zwan­zig öster­rei­chi­sche Schil­ling wert. Ganz offi­zi­ell. Das blieb er auch. Zwi­schen Janosch und mir. Es war eine Fix-Nota. Recht viel damals, in den 1960er-Jah­ren. Da bekam ich schon 3 Schach­teln Ziga­ret­ten Mar­ke “Melo­dy”. Ein Beuschel ohne Knö­del, dafür mit viel, viel Sem­meln kos­te­te unge­fähr fünf Schil­ling, unge­fähr so viel wie ein Krü­gerl Bier! Zu Beginn des Monats also acht­und­zwan­zig Schil­ling hin und am Monats­en­de acht­und­zwan­zig Schil­ling her. So ging das Monat für Monat, eini­ge Jah­re hin­durch. Erst als ich mich ent­schloss, dem Rat mei­nes Freun­des Die­ter Dor­ner zu fol­gen und in geo­gra­fi­scher Nähe mei­nes erkrank­ten Vaters zu blei­ben und nach Kärn­ten mit den berühm­ten Sicher­hei­ten des Öster­rei­chi­schen Rund­funks zu zie­hen, über­ließ ich den Kana­da-Dol­lar samt mög­li­chem Devi­sen-Gewinn mei­nem Ehren-Pro­fes­sor Janosch.

"Musterung" musste sein! Sie wurde zum Anlass genommen, um im "Brandhof" ausgiebigst zu feiern!
“Mus­te­rung” muss­te sein! Jah­re spä­ter begriff ich erst, was die­ser Zet­tel Papier für mich tat­säch­lich bedeu­te­te. Aber natür­lich wur­de die­ses “Taug­lich-Sein” zum Anlass genom­men, um im “Brand­hof” aus­gie­bigst zu feiern!
Wir wuchsen im Zeitalter der Hörigkeiten auf. Wenn "Belehrungen" korrigiert werden mussten, wurden sie maschinenschriftlich geändert, nicht gedruckt. Ist natürlich billiger.
Wir wuch­sen im Zeit­al­ter der Hörig­kei­ten auf. “Beleh­run­gen” muss­ten kor­ri­giert wer­den, maschi­nen­schrift­lich, nicht gedruckt! Also indi­vi­du­ell angepasst!

Zwi­schen dem Gast­gar­ten des “Brand­hof” und dem angren­zen­den Nach­bar­haus in der Luther­gas­se gab es damals noch eine Zufahrt zu den Werk­stät­ten der Ver­ei­nig­ten Büh­nen. Dort ent­stan­den die Büh­nen­bil­der und Deko­ra­tio­nen für die Auf­füh­run­gen im Gra­zer Opern­haus. Und die­ses Gra­zer Opern­haus befand sich eben­falls in unmit­tel­ba­rer Nähe des “Brand­hof” – schräg gegen­über. Am Kai­ser-Josef-Platz, wo auch ein gro­ßer Teil der Lie­fe­ran­ten mei­ner Eltern domi­zi­lier­te. Das gan­ze Vier­tel um die­sen Platz her­um bil­de­te also mei­nen Lebens­raum: Die evan­ge­li­sche Gemein­de inklu­si­ve Hei­lands­kir­che, der Kunst­tem­pel von Graz, das Opern­haus, und der “Brand­hof”. Das Schau­spiel­haus ober­halb des Doms wur­de erst etwas spä­ter eröff­net, 1961. Ein Teil der Stamm­gäs­te des “Brand­hof” kam aus die­sem Milieu der Sän­ger, Schau­spie­ler, Diri­gen­ten, Musi­ker, Souf­fleu­sen, Bal­let­teu­sen und so wei­ter. Es gär­te hier. Das konn­te jeder spü­ren, der noch was spü­ren konn­te. Es lag in der ver­träg­li­chen Mischung von Kunst, von Prak­ti­ka­beln, von Tra­di­ti­on und Inno­va­ti­on, Unge­wohn­tem, von frei­em und unein­ge­schränk­tem Sich-Aus­ein­an­der­set­zen, von nicht-kana­li­sier­tem und instru­men­ta­li­sier­tem Den­ken und Han­deln. Und natür­lich gab es wie immer und über­all die Ver­su­che nach den vie­len ent­setz­li­chen Jah­ren alles wie­der “auf Schie­ne” zu brin­gen, die Wag­gons wie­der ein­zu­g­lei­sen, Loko­mo­ti­ven davor zu span­nen und einen Fahr­plan zu koor­di­nie­ren. Die­se Ver­su­che dau­ern bis heu­te und sind, so wie jeder Ver­such, nur teil­wei­se gelun­gen. Züge fah­ren noch immer, sogar mit Was­ser­stoff betrie­be­ne. Gelei­se wer­den noch immer ver­legt, so wie vor 200 Jah­ren, obwohl der aku­te Mobi­li­täts­be­darf dem ent­ge­gen­steht. Irgend­wann wird man dem Bedürf­nis der Bevöl­ke­rung schon ent­spre­chen und die Gleis­bet­ten einem intel­li­gen­ten und ver­netz­tem Mobi­li­täts­kon­zept frei­ge­ben. Es wird noch eini­ge Jähr­chen brau­chen, aber es ist seit gerau­mer Zeit abseh­bar. Die Roh­stoff­kri­se wird uns klei­ne Mensch­lein dazu zwin­gen im Rah­men des “urban mining” auch die Gelei­se zu recy­celn. Wobei dann nichts mehr “auf Schie­ne” gebracht wer­den muss. Ver­su­che sind eben dazu ver­ur­teilt, Ver­su­che zu blei­ben. Jeder Ver­such bringt Destruk­ti­vi­tät mit sich. Destruk­ti­vi­tät bis hin zur Ver­nich­tung. Nur die Keim­zel­le von Leben errei­chen die Ver­su­che und deren Aus­wir­kun­gen nicht. Leben ist auf unse­rer Erde immer über­ge­ord­net, ist für uns “Homi­ni­den in sta­tu nas­cen­di” uner­reich­bar. In die­sem Zusam­men­hang kann ich mich erin­nern im “Brand­hof” in klei­ner Run­de über die Ideen dis­ku­tiert zu haben, die man schon damals, vor dem Dik­tat der Kraft­stoff- und Ver­bren­nungs­mo­tor-Lob­by in gro­ßen Tei­len der Pres­se zu lesen und zu schau­en bekam. Der “Brand­hof” war für uns schon so etwas wie ein Forum für alles Mög­li­che, für erns­te und ernst­haf­te Dis­kus­sio­nen, für Mei­nungs- und Erfahrungsaustausch. 

Barbara Schemeth und Erich (später dann: Erik) Göller 1964 auf dem Weg ins Nirgendwo, welches Immer und Überall und Ewig ist. Schade, dass die Zeit unseres Zusammenseins nur so kurz sein durfte.
Bar­ba­ra Sche­me­th und Erich (spä­ter dann: Erik) Göl­ler 1964 auf dem Weg ins Nir­gend­wo, wel­ches Immer und Über­all und Ewig ist. Scha­de, dass die Zeit unse­res Zusam­men­seins nur so kurz sein durfte.

Wenn wir irgend­wo in der Nähe waren, das Bedürf­nis ver­spür­ten mit­ein­an­der zu reden oder zu dis­ku­tie­ren, viel­leicht sogar zu strei­ten, hieß es immer wie­der: “Gem­ma in den Brand­hof!” Und schon gin­gen wir. Mit Horst etwa, den wir nach end­lo­sen Dis­kus­sio­nen über Gott, das Leben und Mis­sio­nie­run­gen und deren Zie­le, über Pfar­rer und die Welt, an die Mor­mo­nen, die “Hei­li­gen der Letz­ten Tage”, ver­lo­ren. Da waren auch die Nicht-Enden-Wol­len­den Gesprä­che über Kin­der und deren Erzie­hung damals. Ein Ende ist auch heu­te nicht abzu­se­hen, kann auch nicht sein. Die inter­es­san­tes­ten Gesprä­che dies­be­züg­lich hat­te ich eini­ge Jah­re spä­ter mit Dr. Fred Sino­watz, als er Unter­richts­mi­nis­ter war und kur­ze Zeit Bun­des­kanz­ler. Ihm ist zwar die Reno­vie­rung des dama­li­gen Volks­schul­sys­tems gelun­gen, aber sei­ne wei­ter­ge­hen­den Vor­stel­lun­gen wur­den ein­fach nicht akzep­tiert. Die klei­ne­ren Schrit­te waren aber durch­aus erfolg­reich. Erst jetzt  – 2018 – fand auch die rest­li­che Hälf­te des öster­rei­chi­schen Her­zens ihren soge­nann­ten lin­ken Weg. Aber das ist ja das Schick­sal der Aus­tro-Lin­ken, näm­lich auf­ge­so­gen zu wer­den, von wem auch immer. Ohne es zu bemer­ken wird nach links gerutscht. Unter ganz ande­ren Rich­tungs­an­ga­ben. 
Immer wie­der zuck­ten Gedan­ken­blit­ze auf, von und über Mobi­li­tät der Zukunft. Der Aus­stoß von Gasen, die schäd­lich sein könn­ten, berei­te­te uns damals schon Sor­gen, obwohl für so man­chen der Ben­zin- oder Die­sel-Geruch ganz ange­nehm zu sein schien. Die zwang­haf­te Sucht zum KFZ-Waschen, die zeit­li­che Dimen­si­on der Zer­set­zung des Metalls, all das wur­de von uns ahnungs­lo­sen Jugend­li­chen im “Brand­hof” dis­ku­tiert. Bis jeder von uns sei­nen Weg zur Lösung die­ser Fra­gen gefun­den hat­te, jeder allei­ne für sich sel­ber. Dar­aus ent­stan­den in wei­te­re Fol­ge, in den vie­len Jah­ren seit­her, Begrif­fe wie Urban Mining oder Urban Recy­cling. Damals star­ben die Wäl­der noch nicht, Fein­staub war unbe­kannt. Wir bespra­chen auch Auf­füh­run­gen der Oper, der Kam­mer­spie­le, des Forum Stadt­park selbst­ver­ständ­lich, wir spra­chen über sehens­wer­te Fil­me, bis ins kleins­te Detail oder blö­del­ten ent­spannt und locker vor uns hin, manch­mal unter­stützt von Janosch. Wo wir nur konn­ten, infor­mier­ten wir uns. Über Print-Medi­en. Es war die gro­ße Zeit der Dru­cke­rei­en und Dru­cker, die Zeit der Kaf­fee­häu­ser. Wie oft sind wir vom “Brand­hof” nach Hau­se gegan­gen und haben end­los lan­ge gebraucht bis wir ange­kom­men sind, weil wir dis­ku­tiert haben, über Gott und die Welt, über die Unend­lich­keit, wel­che auch ein Ende hat – unvor­stell­bar, oder?

Tschaikowsky´s "Nussknacker". Im solistischen Teil des pas de deux drehte sich die Solistin gezählte 32 mal en pointe und ließ sich dann hinter den Kulissen auf die bereitgestellte Liege fallen, erschöpft, total verausgabt. Da begriff ich erst, was "Engagement" oder Hingabe in unseren Berufen bedeutet. Von Solisten, also den männlichen Partnern, erwartete man damals üblicherweise nicht so viel Einsatz.
Tschaikowsky´s “Nuss­kna­cker”. Im solis­ti­schen Teil des pas de deux dreh­te sich die Solis­tin gezähl­te 32 mal en poin­te und ließ sich dann hin­ter den Kulis­sen auf die bereit­ge­stell­te Lie­ge fal­len, erschöpft, total ver­aus­gabt. Man­ches­mal durf­te ich ihr Händ­chen hal­ten. Da begriff ich erst, was “Enga­ge­ment” oder Hin­ga­be in unse­ren Beru­fen bedeu­tet. Von Solis­ten, also den männ­li­chen Part­nern, erwar­te­te man damals nicht so viel Einsatz.

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