Natürlich war mir die Tätigkeit einer Souffleuse oder eines Souffleurs genauso klar, wie es für die meisten kulturbeflissenen Konsumenten klar war und ist: Eine Souffleuse, ein Souffleur ist nichts anderes als ein “Vorsager”. Wobei das Wissen um die Funktionsbezeichnung der Vorsagerin oder des Vorsagers schon den Sprechenden als bildungsbewussten Mitbürger ausgewiesen hat. Damals wurde die Gesellschaft generell in zwei Klassen geteilt: In die Kinogeher, das war die Masse der Existenzen, und in diejenigen, die für die Subventionierung und Erhaltung der Theater waren, das war die Minderheit der Bevölkerung die sich als Élite fühlte. Die Polarisierung hielt ein paar Jahre lang an und danach verebbte die Welle der politischen Instrumentalisierung. Sie brachte ja niemandem wirklich etwas, Hauptsache war: Es wurde geredet und diskutiert. Ich wurde zur damaligen Zeit sicher zu den Eliten gezählt, verbrachte ich doch einen grossen Teil meiner “Freizeit” auf den Grazer Stehplätzen. Die Élite der Élite setzte sich gemütlich hin, die unterste Schicht der Élite musste im Stehen “Kultur” genießen. Dass man sich dafür auch interessieren konnte, verstand man nicht so ganz.
In dem Krippenspiel für die evangelische Jugend übernahm damals meine Person diese, wie ich im Laufe der Aufführung erfahren mußte, äußerst wichtige Funktion des Souffleurs. Ich stand hinter einem transparenten Stück Stoff vor einer Reihe von Stühlen und las fast das ganze aufzuführende Theaterstück vor. Im Kostüm eines braven, aufmerksamen Hirten. Diese unbedeutende Nebenrolle habe ich auch noch übernommen. Unser Publikum kam so in den Genuß einer barrierefreien Aufführung. Vorgespielt und Vorgelesen. Leise war ich sicherlich nicht gerade und vor allem war ich auch nicht halbwegs ideal platziert.
Gundi und Wolfgang taten ihr Bestes in der Darstellung von Maria und Josef. Wolfgang war beruflich im Augenblick dabei Koch zu werden, ein damals nicht gerade gut beleumundeter Beruf. Seine Praxis absolvierte er im Restaurant des Grazer Hauptbahnhofs. Keiner von uns war dort jemals zu Gast. Das lag wahrscheinlich an dem Ruf, den solche Lokalitäten damals hatten. Wolfgang erzählte uns auch so manches Ereignis aus dem beruflichen Nähkästchen. Ganz im Vetrauen, klar. Und dennoch sprachen sich solche Geschichtchen rasend schnell herum. Manche auch umher. Gundi bekam etwas später eine komplette Parfümerie eingerichtet. Am Beginn der Grazer Münzgrabenstrasse, gleich beim Dietrichsteinplatz. Von ihrem Vater. Ein guter Start ins Berufsleben. Natürlich war ich dort eine Zeit lang Kunde.
Werner und Heinz hatten es – was die Aufführung betrifft – schon etwas leichter, da brauchte ich nicht viel zu soufflieren. Sie stellten zwei Trunkenbolde dar. Werner entschied sich später für die Karriere eines Anwaltes und studierte Ius. Ich bekam schon einiges mit von diesem Studium. Er wurde auch ziemlich bekannt damit – als Rechtsanwalt. So nebenbei war er auch später unter anderem Sprecher des österreichischen Segelverbandes. Und kennt sich demzufolge gut aus zwischen den Inseln der nördlichen kroatischen Adria. Heinz allerdings hat sich, obwohl ich ihn in späteren Jahren mehrmals getroffen habe, ganz aus meinem Gedächtnis zurückgezogen. Genauso ist es mir mit Pauli ergangen, von ihm weiß ich lediglich, dass er mit dem Familiennamen Bayer hieß, dass er nur “Pauli” gerufen wurde und zu Beginn seiner Karriere Öffentlichkeitsarbeit geleistet hatte, und zwar für das Bad Radkersburger Mineralwasser. Zu jener Zeit als Yugoslawien zu zerfallen begann und die lokalen Kriege ihren Anfang nahmen und unser Bundesheer mit dem Schutze unserer Grenzen beauftragt war und Oberst Anton Othmar Sollfelner auf die Idee kam auch mich da irgendwie mit einzubeziehen, musste ich des Öfteren an “Pauli” von damals denken.
In diese Epoche fallen auch die Ereignisse aus dem Band “Zynchronisation 1”. Da hab ich ganz und gar ahnungslos geschrieben von einer Ruine in der Nachbarschaft des “Lippenjakl”. Wo wir alle aus unserem “Kreis” wunderschöne Stunden und Tage verlebt und erinnerungswerte Erfahrungen gemacht und einander auch von solchen erzählt und darüber gesprochen hatten. Erst jetzt – während der Entstehung des zweiten Bandes – habe ich genaue Beschreibungen dieser Stätte im Web entdeckt. Sie ist das letzte Überbleibsel von Alt-Leonroth. Davon hat uns niemand informiert. Weder irgendjemand aus der lokalen Umgebung noch irgendjemand aus der Kette der Eigentümer. Für uns als Opfer der traditionellen Geschichte waren die Mauerreste Ruinen, deren Schicksal es zu sein hatte, weiter zu verkommen, die Verbindung nach Kärnten hinüber zu verschweigen oder zu verschweigen, dass hier Menschen ein Bauwerk errichtet hatten zur Sicherheit. Die ganze Geschichte wird nicht nur an Ort und Stelle von den Mauer- und Bauresten und wild umherliegenden Steinen erzählt, sondern fürs Erste einmal in traditionellen Wörtern. Eine Synchronisierung steht auch hier noch aus und an. Möglicherweise haben diese Zeilen für ein Aufwachen gesorgt.