So nebenbei…

So neben­bei ent­deck­te ich mei­ne Bereit­schaft, Unbe­kann­tes zu akzep­tie­ren. Aus dem uni­ver­si­tä­ren Bereich erfuhr ich bei­spiels­wei­se, dass man­cher loka­le süd­ös­ter­rei­chi­sche Eigen­na­me oder regio­na­le Begriff sla­wi­schen Ursprungs wäre. Hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand flüs­ter­te man die wah­re Her­kunft des Orts­na­mens “Graz” ein­an­der zu. In den Schul­bü­chern war natür­lich ganz ande­res zu lesen. Eines schö­nen Tages kamen Die­ter Dor­ner und ich sogar mit der schot­tisch-gäli­schen Spra­che in Berüh­rung, einer über­le­ben­den Rest-Spra­che des Kel­ti­schen, gespro­chen in der Gegend einer Insel­ket­te namens Hebri­den. Ich besaß damals ein Ber­tels­mann-Hand-Lexi­kon. Die­ses gab gera­de die nötigs­te Infor­ma­ti­on frei. Ein paar Zeil­chen. Das war damals so. Wis­sen muss­te teu­er erkauft wer­den. Wer es sich nicht leis­ten konn­te, blieb unin­for­miert, blieb ein­fach ein­fach. Auch wer es sich leis­ten konn­te, aber es nicht nötig hat­te, blieb genau­so ein­fach. Dass es irgend­wann ein­mal Wiki­pe­dia geben könn­te, das Wis­sen der Mensch­heit in einer Daten­bank ver­sam­melt und stän­dig aktua­li­siert, die kom­plet­te Daten­bank bei­na­he gra­tis, das wag­te nicht ein­mal der kühns­te Träu­mer zu erträu­men, in der Geschich­te der Mensch­heit erst­mals so eine Mög­lich­keit zu schaf­fen. Das wäre “damals” noch ganz links­links gewe­sen und ver­pönt, sogar im insti­tu­tio­nel­len sta­li­nis­ti­schen Kom­mu­nis­mus. In jenen Tagen gaben wir den “Blick zurück im Zorn” als Abschluss­ar­beit zum Bes­ten, Die­ter Dor­ner als Jim­my, ich als Cliff. Par­al­lel dazu gas­tier­te das eng­li­sche Natio­nal-Thea­ter, das berühm­te Old Vic, im Gra­zer Opern­haus. Dort lern­ten wir “Sir” Ash­leigh Alan Coll­ins ken­nen. Auf die Fra­ge woher er eigent­lich käme, ant­wor­te­te er auf schot­tisch-gälisch. Das gefiel uns. Und als er uns noch zeig­te, dass man die­se Spra­che auch schrei­ben konn­te, hat­te er uns sowie­so gewon­nen. Wir führ­ten ihn über den Markt am Kai­ser-Josef-Platz, dem Stadt­park ent­lang bis hin zu “unse­rem” Palais Meran, der Heim­statt der zukünf­ti­gen Kunst-Uni. Selbst­ver­ständ­lich zeig­ten wir ihm die­ses Schloss. Mit eini­gem Stolz und der Unter­stüt­zung von Frau “Maria”, der guten Geis­tin der Aka­de­mie, prä­sen­tier­ten wir den Prunk­saal im ers­ten Stock und schließ­lich unse­re “Pro­be­büh­ne”, den Schau­platz unse­rer “Blick zurück im Zorn”-Aufführungen. Wir hat­ten bereits begrif­fen, dass es weit mehr Kul­tu­ren gibt, als uns bei­gebracht wur­de und wir waren bereit, mehr Kul­tu­ren zu akzep­tie­ren, wo auch immer sie in unse­rem Wis­sen auf­tau­chen soll­ten. Ich mei­ne ganz natür­lich gewach­se­ne Kul­tu­ren, kei­ne Kult-Uren, von irgend­wel­chen Pro­mi­nen­ten öffent­lich gemach­te angeb­li­che Ur- und Mei­nungs-Kult-Uren. Damals hat­ten wir noch kei­ne Ahnung von den diver­sen “Mounds” Ame­ri­kas, damals exis­tier­te der “Urwald”, wuss­te man nicht, dass die­se Wäl­der in gro­ßen Tei­len nichts ande­res waren als ver­nach­läs­sig­te Kul­tur-Land­stri­che, damals gab es für die indi­ge­nen Völ­ker des Nor­dens nur die ein­fa­che Bezeich­nung “Eski­mos”, von den unzäh­li­gen Kul­tu­ren Afri­kas oder Asi­ens ganz zu schwei­gen. Wir waren damals jeden­falls auf­nah­me­be­reit zu akzeptieren.

"Sir" Ashleigh Alan Collins vom Old Vic-Theater in London, dem National-Theater Englands. Er war einer der Wenigen, die noch Schottisch-gälisch, eine Ur-Sprache des Keltischen gesprochen haben.
“Sir” Ash­leigh Alan Coll­ins vom Old Vic-Thea­ter in Lon­don. Das war das Natio­nal Thea­ter Eng­lands. In die­sem Hau­se durf­ten vie­le Jah­re lang nur Ori­gi­nal-Shake­speare-Dra­men auf­ge­führt wer­den. Im Old Vic tra­ten Leu­te auf wie Alec Gui­ness oder Law­rence Oli­vi­er. Oder Mein­rad Nell. Im grau­en bri­ti­schen Beschäf­ti­gungs­be­reich. Als Edel-Statist.
De Rückseite des Fotos von Ashleigh Alan Collins. Seine Widmung aus dem Jahre 1967. Das Schottisch-Gälische meint: Alles Gute!
Das Schot­tisch-Gäli­sche am Ende der Wid­mung meint so etwas wie “Alles Gute”. Ash­leigh war stolz dar­auf, einer kel­ti­schen Min­der­heit anzu­ge­hö­ren und er war stolz auf sei­ne Schau­spiel-Kar­rie­re im ang­lo-ame­ri­ka­ni­schen Raum. Mit ihm zu reden war ein Erleb­nis. Und Erfah­rung. Danke.

Damals – Ende der 1960er-Jah­re – hat­ten wir die Grund­la­ge unse­rer Zukunft und der unse­rer Nach­kom­men erfah­ren: Die eben erwähn­te Bereit­schaft zur Akzep­tanz und die Abs­ti­nenz ana­lo­gen stra­te­gi­schen Den­kens. Wir waren und sind natür­lich bereit, zu akzep­tie­ren, dass es in prä-kolum­bia­ni­scher Zeit in die­sem rie­si­gen Kon­ti­nent jen­seits des Atlan­tik Städ­te gab, die damals vor grau­en Jah­ren so groß wie Paris oder Ber­lin waren, dass die­ser Kon­ti­nent vor Leben pul­sier­te. Kolum­bus, Vas­co da Gama, Pizar­ro und die vie­len ande­ren waren kei­ne ruhm­vol­len Ent­de­cker. See­fahrt gab es schon lan­ge vor ihnen und sogar gan­ze Flot­ten, Wan­der­be­we­gun­gen über stän­dig sich ver­schie­ben­de Kon­ti­nen­te hin­weg. Wir soll­ten wis­sen, dass par­al­lel zu unse­ren Schrift­spra­chen in Euro­pa und Asi­en eine drei-dimen­sio­na­le Bild­spra­che vor­han­den war, die mit weni­gen Aus­nah­men nur des­we­gen ver­nich­tet wur­de, weil Euro­pä­er – in ihrem eige­nen Ver­ständ­nis als “Ent­de­cker” – nicht ver­stan­den, was sie da ganz gegen­ständ­lich in Hän­den hiel­ten. Sie konn­ten es sich nicht vor-stel­len. Wobei die Bezeich­nung “Euro­pä­er” nur auf die paar Fami­li­en hin­weist, die damals die Füh­rung eines gan­zen Kon­ti­nents bean­spruch­ten. Über allen schweb­te natür­lich die euro­päi­sche katho­li­sche Kir­che, die sich in ihrer gren­zen­lo­sen Selbst-Anma­ßung als den Mit­tel­punkt des Uni­ver­sums ver­stand. Die­sen eli­tä­ren Grup­pie­run­gen vor­be­hal­ten waren auch die stra­te­gi­schen Spiel­chen, die heut­zu­ta­ge in der Spiel­theo­rie fest­ge­hal­ten wur­den und von jeder­mann ver­in­ner­licht wer­den kön­nen. Glei­cher­wei­se von tra­di­tio­nel­len geschäfts­tüch­ti­gen Poli­ti­kern selbst­ver­ständ­lich. Als sol­che wer­den sie von den Medi­en bezeich­net. Und es gibt einen Unter­schied von “Medi­en” und “Jour­na­lis­ten”. Und es gibt einen Unter­schied zwi­schen Poli­ti­kern der Zeit bis zu den 1970ern und jenen von damals bis zum heu­ti­gen Tage. Von Men­schen also, die haupt­be­ruf­lich glaub­haft Mär­chen erzäh­len, wel­che von jenen gefun­den wer­den, die Mei­nun­gen erfor­schen, und wenn auch die all­ge­mei­ne Mei­nung sei, man sol­le den Lem­min­gen auf ihrem Zug ins Meer fol­gen, “back to the roots” sozu­sa­gen, irgend­ei­ner fin­det sich, der dies als all­ge­mei­ne Mei­nung eines Vol­kes ver­kauft. Und der dann übrig bleibt. Mit sei­ner treu erge­be­nen Gefolg­schaft. Soweit sein Tag­traum.
Die Tat­sa­che, mit Kul­tu­ren in Ver­bin­dung tre­ten zu kön­nen ohne auf Schwie­rig­kei­ten zu tref­fen und ohne Pro­ble­me zu erschaf­fen, also ganz fried­lich, die­se Tat­sa­che eröff­ne­te mir, bezie­hungs­wei­se uns, neue Mög­lich­kei­ten, mach­te unse­ren Kopf offen­sicht­lich grö­ßer und wei­ter und füll­te ihn. Ich bin dem ORF für die Chan­cen unser Land, vor allem die­ses Öster­reich, sei­nen his­to­ri­schen Wer­de­gang, sei­ne kul­tu­rel­len, poli­ti­schen, prak­ti­schen und uni­ver­si­tä­ren Zustän­de 25 Jah­re lang stu­die­ren zu dür­fen sehr dank­bar. Die­ser Staat und das Land in sei­nen Gren­zen liegt heu­te ziem­lich offen vor mir. Der Kern die­ses Staa­tes. Dane­ben gibt es noch Mit-Spie­ler und Mit-Läu­fer. Die­se sor­gen für stän­di­ges Kom­men und Gehen und sind Bestand­teil der natio­na­len Vita­li­tät. Begon­nen hat die­ses Stu­di­um wäh­rend mei­ner Aus­bil­dung und hat sich fort­ge­setzt in der Zeit des “Jun­gen Thea­ters”, wur­de ernst­ge­nom­men und erkannt in Kärn­ten und per­fek­tio­niert in Wien. Halb­wegs ahnungs­los habe ich mich zunächst in die His­to­rie hin­ein­fal­len­las­sen mit der Hör­spiel­se­rie “Wer ist der Täter”. Mit diver­sen Radio-Sprach­auf­nah­men ging es dann wei­ter, für die Abtei­lung Wis­sen­schaft in Graz, wie ich mich erin­ne­re. Ich habe Die­ter beglei­tet, als er soge­nann­te “Vor­lauf­zei­ten” bei Schall­plat­ten gestoppt hat­te, als Vor­be­rei­tung für das zukünf­ti­ge Radio-For­mat Ö3. In die­sem Zusam­men­hang kam ich auch das ers­te Mal in Berüh­rung mit den Pro­ble­men des Urhe­ber­rechts. Wie bit­ter­nö­tig das Aus­fül­len von AKM- und Lite­rar-Mecha­na-For­mu­la­ren für all jene war, die ihr Ein­kom­men stei­gern woll­ten, dar­über wur­de ich erst etwas spä­ter auf­ge­klärt. Wobei ich an die­ser Stel­le fest­hal­ten möch­te, dass ich sel­ber noch nie Mit­glied eines die­ser oder ähn­li­cher Ver­ei­ne gewe­sen bin. Auch nicht als Ori­gi­nal-Erzäh­ler von W. Ambros “Der Watz­mann ruft”. Bis jetzt. Das kann sich natür­lich noch ändern. Bis dahin lie­gen die Tan­tie­men in der Schweiz sicher und gut auf­ge­ho­ben.
Ich weiß nicht wie vie­le Male ich in mei­ner Eigen­schaft als ORF-Spre­cher die Pseud­ony­mi­täts-Lis­te die­ser Orga­ni­sa­tio­nen her­un­ter­ge­be­tet habe, den Höre­rin­nen und Hörern ange­kün­digt habe, dass sie in weni­gen Sekun­den eine groß­ar­ti­ge Kom­po­si­ti­on aus dem Bereich der Volks­mu­sik, etwa von Har­ry Glück, wie ich mich erin­ne­re, oder von Car­lo Tor­resa­ni et cete­ra hören wer­den. Der Neben­er­werb die­ser Her­ren – und es waren aus­schließ­lich Her­ren damals – war ein­drucks­voll, vor allem im Sek­tor der Immo­bi­li­en. Lei­der han­del­te es sich nicht um mei­nen ganz pri­va­ten Ein­kom­mens­be­reich, der resul­tier­te nur aus den Hörer- und spä­ter dann aus den Seher­ge­büh­ren Öster­reichs. In mei­ner Zeit als ORF-Mode­ra­tor hät­te ich jede Sekun­de mei­ner Live-Mode­ra­tio­nen mit­schrei­ben und die­sen Ver­ei­nen mel­den müs­sen. Da hät­te sich die schö­ne freie Mode­ra­ti­on – mei­ne Mode­ra­ti­on – sel­ber ad absur­dum geführt. Also habe ich es blei­ben las­sen, wie über­haupt das Mode­rie­ren um han­dels­üb­li­che Prei­se damit gekillt wur­de. Es sei denn, man hät­te eine Sekre­tä­rin beschäf­tigt- es war das Jahr­hun­dert der Beset­zungs­cou­ch­es, über wel­che man nicht gere­det hat­te. Als ORF-Ange­stell­ter hat­te man es sicher um eini­ges leich­ter, da hat­te ein Ange­stell­ter auch eine Tipp-Mam­sell zur Ver­fü­gung, aber als soge­nann­ter Frei­er Mit­ar­bei­ter?
Wäh­rend mei­ner Tätig­keit für Radio Graz hör­te ich immer wie­der einen bestimm­ten tech­ni­schen Begriff, der mich stark inter­es­sier­te, des­sen Out­put ich zwar hin und wie­der über Äther­wel­len zu hören bekam, zum Bei­spiel als Ken­nung von der “stei­ri­schen Rund­schau”, täg­lich um 13:45, bis auf Sonn­tag. Aber erst im Stu­dio Kärn­ten bekam ich sie zu sehen, die soge­nann­te “Hall­plat­te”! Ich war tief beein­druckt! “Echos” zu erzeu­gen, war damals nur den gro­ßen Stu­di­os und Radio­sta­tio­nen vor­be­hal­ten. Zu die­ser Zeit erkann­te ich noch nicht die his­to­ri­sche Ursa­che der Steif­heit des Ver­hal­tens vor den Mikro­fo­nen und den resul­tie­ren­den viel­fäl­ti­gen Ein­drü­cken bei den Emp­fän­gern, den Höre­rin­nen und Hörern, ich erkann­te noch nicht das enor­me Befrei­ungs­po­ten­zi­al. Ver­ständ­lich, erst muss­te ich Nega­ti­ves erken­nen, um Posi­ti­ves ein­schät­zen zu kön­nen. Damals gab es für alle, die vor einem Mikro­fon stan­den oder saßen den Begriff “Con­fé­ren­cier”. Und wehe Dir, Du nahmst ein Mikro­fon in Dei­ne Hand und beweg­test Dich! Eine Welt stürz­te zusam­men! In Wien lern­te ich spä­ter einen im Jah­re 1956 aus Ungarn geflo­he­nen Film­ton­meis­ter ken­nen, den der ORF in den Fern­seh­be­reich über­nom­men hat­te, der immer im wei­ßen Man­tel zur Arbeit erschien, der sel­ber nie ein Mikro­fon in die Hand genom­men hät­te, der nur “Reg­ler” und Knöpf­chen betä­tig­te, der für Alles und Jedes Assis­ten­ten benö­tig­te, der über das Mikro Fre­quen­zen wahr­ge­nom­men hat­te, die das Mikro über­haupt nicht erfas­sen und dem­zu­fol­ge auch nicht über­tra­gen konn­te. Ich bin ein Zeu­ge der Zeit: Ich saß im gro­ßen Kom­plex des Syn­chron­stu­di­os SK I am Künigl­berg vor dem Mikro­fon. Nie­mand getrau­te sich damals etwas zu sagen. Cut­te­rin, Regis­seur, Ton­as­sis­ten­ten etc. nah­men sei­ne Mei­nung ein­fach hin. Ich auch. Die­ses eine ers­te Mal. Ein zwei­tes Mal nicht mehr. Wes­we­gen ich sogar Rau­chen durf­te. Wäh­rend der Auf­nah­men! Heu­te bin ich Nicht­rau­cher. Ich mag ein­fach nicht mehr, das Rau­chen.
Im Stu­dio Kärn­ten bear­bei­te­ten wir unse­re Bei­trä­ge selbst, das heißt, wir schnit­ten unse­ren Ton sel­ber. In Wien war dies bei­na­he ein Ver­bre­chen, wir von Ö3 gefähr­de­ten Arbeits­plät­ze! Ich lern­te, dass man nur dadurch, dass man etwas zu viel erle­digt hat, weil es etwa den Arbeits­pro­zess beschleu­nig­te oder ver­kürz­te, Arbeits­plät­ze von ande­ren gefähr­den konn­te, das bedeu­te­te, je weni­ger man tat, des­to bes­ser wur­de es für die All­ge­mein­heit, des­to sozia­ler war man oder ist man, zumin­dest eine Zeit lang. Bis wann man das sei oder sein darf, das wird uns schon irgend­ei­ner erklä­ren, aus dem Fern­seh­ap­pa­rat oder in irgend­ei­ner Zei­tung. Als “Selbst­stän­di­ger” wur­de man in die­sen Jah­ren über­haupt sehr eigen­ar­tig ange­se­hen. Ich gebe zu, dies hat sich bis heu­te nicht unbe­dingt stark ver­än­dert. Bis jetzt – 2019 – lau­te­te der Lebens­plan so: Grund­aus­bil­dung – Berufs­aus­bil­dung – Anstel­lung – Pen­si­on – Grab oder Ver­bren­nung. Du brauch­test Dich um nichts mehr zu küm­mern, warst alle Sor­gen los. Und wenn Du bei den soge­nann­ten Wah­len auch noch stän­dig die für Dich rich­ti­ge Par­tei gewählt hast, dann sowie­so – hof­fent­lich. Eine Zeit lang, vor der gro­ßen Wirt­schafts­kri­se, um das Jahr 2000 her­um, waren die Ban­ken sehr ger­ne bereit, für Dich die Fami­li­en­pla­nung zu über­neh­men, und zwar lang­fris­tigst, sogar noch die Pla­nung für Dei­ne Kin­der zu über­neh­men! Du soll­test Dir abso­lut kei­ne Sor­gen machen müs­sen! Sich Sor­gen zu machen, bedeu­te­te ja auch selb­stän­dig zu den­ken! Das erle­dig­ten doch ande­re für Dich!
Auf­grund der Tat­sa­che, dass in den Fern­seh­ka­me­ras von vor­ges­tern noch Iko­no­sko­pe ver­baut wur­den, die nur drei Grund­far­ben “sahen”, durf­te man auch nur die­se Grund-Far­ben in sei­nen Kos­tü­men ver­wen­den. Grün hat­te hier nichts ver­lo­ren – ich hab‘s ver­sucht! Sogar auf Kör­per­sprach­li­ches hat­te “Fern­se­hen” enor­me Aus­wir­kun­gen. Jede Bewe­gung aus dem Sit­zen her­aus auf die Kame­ra zu, also in Rich­tung Kame­ra, wirk­te bedroh­lich, die Bewe­gung selbst ver­grö­ßer­te sich. Das Know-how die Objek­ti­ve betref­fend und das gan­ze Drum-Her­um war noch sehr in Ent­wick­lung begrif­fen. Da war die Büh­nen­tech­nik schon etwas wei­ter.
Von Anfang an lief das Wis­sen um die Sprech- und Atem­tech­nik dop­pel­glei­sig. Da war zum Einen die tra­dier­te Schie­ne auf dem Gelei­se von der Büh­ne her, da nahm man den Herrn Hey und die Dame Bal­ser-Eber­le als Büh­nen­re­gu­la­tiv und als Regel für alle ande­ren davon abge­lei­te­ten Beru­fe. Zum ande­ren begann sich auf Neben­ge­lei­sen schon etwas zu regen und zu bewe­gen. Man fing an zu ahnen, dass wir alle mehr­spra­chig auf­wach­sen wür­den, vor allem im öster­rei­chisch-baye­ri­schen Raum. Zumin­dest rech­ne­te man in den 1960er-Jah­ren mit min­des­tens drei Spra­chen: Lokal­ko­lo­rit – Dia­lekt – hoch­ge­lau­te­te Umgangs­spra­che. Mitt­ler­wei­le sind die unzäh­li­gen Lokal­ko­lo­ri­te bereits ver­schwun­den und die Dia­lek­te wer­den immer ver­wa­sche­ner. Als Zeu­ge der Zeit beob­ach­te ich die rasan­te Ent­wick­lung hin zur hoch­ge­lau­te­ten Umgangs­spra­che, die Rege­lun­gen der amt­li­chen Wör­ter­bü­cher und die damit ein­her­ge­hen­de Mini­mie­rung der Ver­ständ­lich­keits­pro­ble­me. Wie haben Wis­sen­de gelacht über die klei­nen Bür­ger­meis­ter und Beam­ten die­ses Staa­tes, wenn sie ein­mal einem Mikro­fon gegen­über­tra­ten oder etwas Offi­zi­el­les in “hoch­deutsch” ver­le­sen muss­ten – vor­bei! Ein gan­zer dicker Groß­glock­ner fällt uns allen von der See­le. Vor­bei sind für immer und ewig jene Zei­ten, wo Mit­men­schen geglaubt hat­ten, sie könn­ten sich Wis­sen mit bil­li­gem Geld erkau­fen! Oder es gereicht hat­te, zu ver­brei­ten, dass man bei die­sem oder jenem “gelernt” hät­te. Sogar unter den “Machern” der elek­tro­ni­schen Medi­en herrsch­te die Mei­nung vor, man könn­te die Tech­nik des Spre­chens ein­fach und schnell “erler­nen”, in weni­gen Stun­den, “man rede ja sowie­so” und “lesn un schraebm kem­mo jo a!” (und lesen und schrei­ben kön­nen wir ja auch!). Kön­nen wir das wirk­lich? Vor allem als Mit­ar­bei­ter von jenen Medi­en?
Untrenn­bar mit dem Spre­chen ver­bun­den ist die Zwerch­fell-Atmung. “A Lem long tua i odman! Oiso, wos sulls, za wos broch i denn des!” (Ein Leben lang tu ich atmen! Also, was soll das! Wozu brauch ich denn das?). Ich gebe es zu: Seit 1963 ist die Zwerch­fell-Atmung für mich die voll­kom­men nor­ma­le Atmung. Ich hab die­se Atmung mit­hil­fe von ganz nor­ma­len Stüh­len und ein paar Bän­den einer Enzy­klo­pä­die erlernt. “Erlernt” ist nicht ganz kor­rekt, “erwei­tert” trifft den Vor­gang schon etwas bes­ser. “Kor­ri­giert” trifft es in Wahr­heit ganz kor­rekt. Denn im Schlaf habe ich sowie­so rich­tig geat­met. Jedes Baby, jedes Klein­kind “tut” dies. Nur etwas spä­ter, in so man­chen Schu­len, auch heu­te noch, wird vie­len bei­gebracht auf die natür­lichs­te Art zu atmen zu ver­zich­ten. Da wird mit aller Gewalt die Mus­ku­la­tur um die Lun­gen akti­viert! Einst­wei­len ist man schon dahin­ter gekom­men, dass die­se zu sehr akti­viert wer­den kann und die Zwerch­fell-Atmung dabei ganz ein­fach weg geschal­ten wur­de! Mitt­ler­wei­le ver­mu­tet man auch, dass wir alle viel zu sehr in “Schrift” den­ken, wer hät­te das gedacht!

Die Wid­mung von Man­fred Jaindl. 1967 war das. Man­fred gehör­te zu den Weni­gen, die mich “Radi” nen­nen durften.

Eines Abends im Jah­re 1967, im Sep­tem­ber die­ses Jah­res, wur­de ich von einem Kol­le­gen über­fal­len, er hät­te da eine Idee und eine Gele­gen­heit und ich könn­te mit­tun, ich soll­te, bes­ser gesagt, es müss­te näm­lich sehr schnell gehen und das Pro­jekt lie­fe schon in ein paar Tagen, danach wäre es gar kein Pro­jekt mehr. Es wäre für mich gar kein Pro­blem, es wäre eine Lese-Auf­füh­rung, noch dazu hät­te ich die Mög­lich­keit bei einer Welt-Ur-Auf­füh­rung mit­zu­ma­chen, das wäre sowie­so etwas ganz Beson­de­res! Zusätz­lich wäre das ein Werk von Hugo von Hof­manns­thal! Und dann wäre das noch dazu in Wien! In der Groß­stadt! Die sich gera­de in der Pha­se der Selbst­fin­dung befin­det und aus den Alb­träu­men erwach­te! Ich über­leg­te kurz: Eine Lese-Auf­füh­rung von etwas, das es noch gar nicht gab! “Furcht” soll­te das Werk hei­ßen. Schon der Titel flöß­te mir den Begriff und damit die Bedeu­tung des Wor­tes ein! Ich nahm die Her­aus­for­de­rung an! Am 12.9. setz­ten wir uns in aller Frü­he in den Zug. Auf der Fahrt nach Wien lasen wir das ers­te Mal die “Furcht” durch, ohne uns zu fürch­ten, im Gegen­teil, wir freu­ten uns schon dar­auf, da zu sit­zen und zu lesen. Man­fred erklär­te uns die ein­zel­nen Cha­rak­te­re und Ereig­nis­se. Wir hat­ten kei­ne Ahnung davon, dass wir ab sofort eine eige­ne, selbst­stän­di­ge Thea­ter­grup­pe waren, mit eige­ner Bezeich­nung. Ich war schon noch sehr naiv zu die­ser Zeit. Aber damals dach­te ich nicht all­zu viel über den Begriff “Spät­zün­der” nach, noch nicht. Es gab ja auch kei­nen Anlass dazu.

Ingrid Kele­men bei der Welt-Ur-Lese­pro­be knapp hin­ter dem Sem­me­ring. Es war jeden­falls ein lehr­rei­cher und inter­es­san­ter Aus­flug in die Bundeshauptstadt.
Im Pro­ben-Raum des ÖBB-Wag­gons die­ser Jah­re. Wir unter­hiel­ten uns köst­lich dabei. Wir hat­ten über­haupt kein Emp­fin­den dafür, dass wir eine Welt-Ur-Auf­füh­rung kreir­ten! Man­fred der Welt-Ur-Regisseur!

Da saßen wir also in unse­rem Abteil des Wag­gons und kut­schel­ten Rich­tung Wien. Auf den Mor­gen-Kaf­fee aus der Kan­ne des Buf­fett-Man­nes hat­te uns Man­fred schon ein­ge­la­den, bevor er uns noch mit eini­gen Hin­wei­sen zur Auf­füh­rung ver­sorg­te und wir mit der Erfas­sung der “Furcht” los­leg­ten. Wir began­nen, uns ein­zu­le­sen. Mehr als schlecht und recht. Der kurven‑, brü­cken- und tun­nel­rei­che “Sem­me­ring” lenk­te uns natür­lich ab. Wir mach­ten Pau­se und bewun­der­ten die Natur – und die fins­te­ren Tun­nels. Erst als wir unten waren, in der Ebe­ne sozu­sa­gen, wur­den wir wie­der ernst und wid­me­ten uns der eigent­li­chen Auf­ga­be, unse­rer Welt-Ur-Auf­füh­rung. Furcht­los lasen wir die “Furcht”, jeder für sich, lei­se, dann wie­der­um alle drei gemein­sam, halb­laut, man­ches­mal laut, dann wur­de aufs Neue kurz dis­ku­tiert und dann waren wir bereits in Wien. Damals noch am Süd-Bahn­hof. Wien hat­te in jener Zeit nur Kopf-Bahn­hö­fe auf­zu­wei­sen. Rich­tig geöff­net hat sich die­ses Land durch die EU. Seit­dem gibt es einen ech­ten gro­ßen Durch­gangs­bahn­hof. Seit­dem schlägt auch der Puls der zeit­ge­mä­ßen Zeit in die­ser Stadt und damit gleich­falls in die­sem Ost-Teil des Lan­des. Abge­se­hen vom Flug­ver­kehr und der drit­ten Start- und Lan­de-Pis­te im Bereich des Flug­ha­fens VIE – Wien-Schwechat.

Die­se Lese-Auf­füh­rung fand sogar sei­nen Nie­der­schlag im Rah­men der APA-Bericht­erstat­tung. Das fand ich erst im hohen Alter her­aus. – Ori­gi­nal-Fern­schrei­ben der APA. Mit freund­li­cher Geneh­mi­gung der Aus­tria Pres­se Agentur.

Dass wir beob­ach­tet wur­den, bei allem was wir taten, bemerk­te ich erst, als ich den Schwer­punkt mei­ner Tätig­keit nach Wien ver­leg­te. Das heißt, den größ­ten Teil mei­ner Tätig­keit ver­leg­te ich nach Wien, den ande­ren Teil mei­ner Tätig­kei­ten ver­leg­te ich hin­ge­gen über ganz Öster­reich und sei­ne dama­li­gen “west­li­chen” Nach­bar­staa­ten. Ich lern­te und stu­dier­te und lern­te. In “Dorabi­ra” etwa (Dorn­birn) bekam ich vom Her­aus­ge­ber einer Jugend­zeit­schrift den Tipp mich doch ein­mal mit dem – damals nur mit sehr viel “Schil­lin­gen” im Print erhält­li­chen – “Amts­ka­len­der” zu beschäf­ti­gen. Was ich höchst dank­bar auch tat. Bis zu jenem Augen­blick als es ihn als CD gab und die­ses Mam­mut-Werk letzt­lich genau­so, wie so vie­les, in Bedeu­tungs­lo­sig­keit versank.

Trotz allem hat­te ich noch Zeit, vor der Auf­füh­rung durch Wien zu bum­meln. In der Ver­gla­sung des Schau­fens­ters spie­gelt sich ein Teil des Ste­phans­doms und die gegen­über­lie­gen­de Sei­te des Ste­phans­plat­zes. Die Betrach­ter die­ses Bil­des möch­te ich noch auf das inten­siv dis­ku­tie­ren­de sich spie­geln­de Pär­chen hinweisen. 

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