Unser verehrter Opa

Das waren Bei­ne! Wenn Opa ein­mal ruhig ste­hen­blieb und sei­ne Bei­ne neben­ein­an­der stell­te, was sel­ten genug vor­kam, so konn­te ich als klei­ner Bub locker und leicht zwi­schen den Bei­den hin­durch­klet­tern. Das waren ech­te, star­ke, durch­ge­rit­te­ne O‑Beine. Bei­ne in Form eines O. Das war ein lebens­lan­ges Andenken an die k.u.k.-Kavallerie. Ein ehren­vol­les, denn immer­hin wuch­sen die­se O‑Beine für den habs­bur­gi­schen Gott, dem Kai­ser samt sei­ner Fami­lie und dem jewei­li­gen Vater­land. Alles ande­re war neben­säch­lich. Opa muss­te ein­mal ein sehr, sehr guter Rei­ter gewe­sen sein, so die Ver­mu­tung. Bestä­ti­gen kann ich nur die erst­klas­si­ge Behand­lung der Milch­kü­he vor dem Mel­ken.
Das gan­ze Haus, ich mei­ne den Teil der bewohn­bar war, war vol­ler Kaval­le­rie­bil­der. Ich glau­be, mich an gedruck­te Gemäl­de von einem deutsch-fran­zö­si­schen Krieg erin­nern zu kön­nen. Jeden­falls tru­gen die soge­nann­ten Geg­ner Franz­mann-Uni­for­men. Und immer waren da kuk-Rei­ter in schnei­di­gen, hel­den­haf­ten Posen, geg­ne­ri­sche Pfer­de sich auf dem Rücken wäl­zend, deren Rei­ter auf dem Boden, im Schmut­ze schmerz­ver­zerrt erstarrt. Und immer wie­der war der Säbel in der “Secon­de” oder der “Terz” gezückt. Es war ein drän­gen­des “Vor­wärts” zu füh­len aus die­sen Bil­dern. Vor­wärts zum nächs­ten Sieg! Auch Opa hat die zwei letz­ten gro­ßen Krie­ge, die ja Einer waren, über­lebt. Er durf­te in Frie­den für immer gehen. Wenn ich ihn auf die­se Bil­der ange­spro­chen habe, dann lächel­te er manch­mal dabei. Wahr­schein­lich weck­te ich in ihm Erin­ne­run­gen oder still­schwei­gen­des Wis­sen. Das Lächeln in sei­nen Augen blieb ganz fest in mei­nen grau­en Zel­len gra­viert. Nicht, was er sag­te und erzähl­te. Es war und ist das Lächeln, ein ver­zei­hen­des, fried­fer­ti­ges Lächeln. Er war zufrie­den. Zufrie­den mit sei­nem Leben. Trotz allem. Das Leben als Klein­bau­er war sicher nicht ein­fach. Allein schon das “Heign”, das Heu machen. Das manu­el­le Mähen der schier end­lo­sen Wie­sen­flä­chen, und das drei Mal im Jahr. OK, da kamen Nach­barn und hal­fen sich gegen­sei­tig aus. Da gab es dann küh­len Most, Brot und Speck oder kal­ten Schweins­bra­ten. Es war ein Fest. Ein Ern­te-Dank-Fest. Ich erlern­te die­se Tätig­keit des Mähens mit einer Sen­se, wel­che dop­pelt so groß war als ich selbst. Ich tat mir ver­ständ­li­cher­wei­se sehr schwer dabei. Und die Arbeit im Wal­de! Altes und Schwa­ches muss­te ´raus um Nadel- und Laub­holz stär­ker wer­den zu las­sen. Das gab Bäu­me! Da konn­te der Win­ter schon kom­men. Da war es dann kusche­lig warm, wenn da drau­ßen meter­hoch Schnee lag und wir uns, das heißt mei­ne Eltern und ich, durch die Schnee­wech­ten zu unse­ren Groß­el­tern kämpf­ten, um sie mit Ess­ba­rem zu ver­sor­gen. Abge­se­hen von den Milch­kü­hen im Stall, den Zie­gen gleich dane­ben und den quie­ken­den und quä­ken­den Schwein­chen, den gackern­den Hen­nen und dem stolz krä­hen­den Hahn. Da hin­gen unterm vor­kra­gen­den Dach des Stall­ge­bäu­des eine Unmen­ge an Mais­kol­ben. Fein säu­ber­lich neben­ein­an­der zum Trock­nen auf­ge­hängt. Drun­ter war das gan­ze tro­cke­ne Brenn­holz geschlich­tet, die Wän­de hoch. Fast kein Qua­drat-Zen­ti­me­ter blieb da bei Beginn des Win­ters frei. Mmh, was gab es da für einen kuli­na­ri­schen Holz-Geruch! Da gab es auch eine Ten­ne mit allen mög­li­chen Wagen und Wägen. An einen Mist­hau­fen kann ich mich erin­nern und an vie­le, vie­le Apfel- und Kirsch‑, und Pflaumen‑, Zwetschken‑, Maril­len- und all jene ‑Bäu­me, die ess­ba­re Früch­te her­vor­brach­ten, wenn ihre Zeit gekom­men war. Es gab zwar einen alten alt­mo­di­schen Schlit­ten in der Ten­ne. Aber der wur­de nur sehr sel­ten genutzt. Zu viel Schnee. Ja, das gab es tat­säch­lich in die­sen Jah­ren zwi­schen 1945 bis etwa 1980. Dann begann das Kli­ma zu schnap­pen. Und obwohl es immer mehr wur­den, die ihre war­nen­den Stim­men erho­ben: die Gier der puren Kapi­ta­lis­ten nach Uner­füll­ba­rem war und ist doch lau­ter zu ver­neh­men. Und außer­dem ist ja, was all­ge­mein als “Intel­li­genz” bezeich­net wird, immer lei­se und ruhig und wohl­über­legt. Ist ja auch der Wahr­heit sehr sehr nahe.
Über dem Bett von Oma und Opa hing ein Bild, das mich anfangs fas­zi­nier­te. Da war eine Frau zu sehen, die ihre Klei­dung vor der Brust öff­ne­te, um dem Betrach­ter ihr Herz zu zei­gen, ein Leben­des oder auch ein abge­stor­be­nes Totes. Wobei nicht klar wur­de, ob es ein auf­ge­mal­tes oder ein ein­ge­wach­se­nes Herz gewe­sen war. Es war von Schwer­tern durch­sto­ßen und den­noch, trotz geöff­ne­ter Brust und durch­sto­ße­nem Her­zen schien die Frau noch zu leben, hielt die Augen nach oben aus­ge­rich­tet offen. Ihr zu Füßen lag das Jesus-Kind­lein, so sag­te man mir. Es ging ihm aus­ge­zeich­net, war gut genährt und schlief zufrie­den und glück­lich.
Rechts befand sich der Haus­al­tar. Alles blitz­te und fun­kel­te. Teil­wei­se war das Alles unter Glas, geschützt vor den Unbil­den des All­tags. Und tat­säch­lich: Die­sem Altar ist nie auch nur irgend­et­was wider­fah­ren. Ich kann mich auch noch erin­nern, dass ich mir ein paar Jah­re hin­durch vor­ge­stellt habe, wie sich mei­ne Groß­el­tern vor dem Altar kniend jeden Sonn­tag bei Gott dafür ent­schul­digt haben, dass sie noch leb­ten, dass sie sozu­sa­gen ver­dammt dazu waren.  Irgend­wann ein­mal, war auch bei mir der Punkt erreicht, an dem der Bereich Reli­gi­on durch mul­ti­ple Ver­hal­tens­bil­der abge­ar­bei­tet war: Auf der einen Sei­te war da der oder die Sonn­tags-Gläu­bi­ge, dann waren da die­je­ni­gen die sich allen Erns­tes mit Reli­gi­on in all der bun­ten Viel­falt beschäf­tig­ten und die ich erst in mei­ner ORF-Zeit ken­nen­ge­lernt habe und mit denen ich sehr ger­ne gear­bei­tet und gere­det und dis­ku­tiert habe und letzt­lich waren da die­je­ni­gen, die ein­fach an einen Gott glaub­ten und glau­ben, wie etwa die “Adven­tis­ten”. Viel­leicht waren es auch sol­che Ein­drü­cke, die mich vie­le Jah­re spä­ter dazu ver­an­lasst haben, mich zusätz­lich zu Kir­chen­ge­schich­te und der Geschich­te von Kirch­li­chem ein­ge­hend mit der Bibel zu beschäf­ti­gen. Mit der “Elber­fel­der Stu­di­en­bi­bel”. Über­haupt war die Aus­ein­an­der­set­zung mit der Reli­gio­si­tät mei­ner Umwelt zwi­schen mei­nem 60. und 70. Lebens­jahr sehr dominant.

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