Ein treuer Hamlet seiner 3.Front

Es muss sein. Ich muss ein Kapi­tel die­ser Samm­lung, die­ses zwei­ten Buches, der Wie­der-Eröff­nung des Schau­spiel­hau­ses wid­men. Auch das ist einer der Impul­se, wel­che davon aus­ge­löst wer­den und bis jetzt aus­ge­löst wor­den sind. Für mich waren es jeden­falls ein­schnei­den­de Ereig­nis­se, sowohl die Sper­re einer­seits als auch die Wie­der-Eröff­nung ande­rer­seits. Letz­te­re fand im Jah­re 1964 statt, am 14.3.1964 . Also genau in jener Zeit, als mein Ich begann inten­siv ein Ich zu wer­den. Ich kann mich noch an das alte Schau­spiel­haus mit sei­nem Ein­gang am Frei­heits­platz erin­nern. War­um mich der Zugang zwi­schen den Säu­len, unter dem Bal­kon so beein­druck­te kann ich mir zwar nicht erklä­ren, aber ich war offen­sicht­lich sehr oft in die­sem Haus, mit mei­nen Eltern, mit mei­ner Mut­ter. Von die­sem Bal­kon her­ab hat auch Pater Lep­pich gepre­digt, tau­sen­de Gra­zer haben ihm andäch­tig gelauscht. Als das “Maschi­nen­ge­wehr Got­tes” wur­de er damals der Mas­se ver­kauft. Da es sehens­wert war, wie er sich gege­ben hat und durch moderns­te Beschal­lungs­tech­nik über­tra­gen wur­de, muss­ten wir uns das anse­hen. Am Frei­heits­platz, am Bal­kon des alten Schau­spiel­hau­ses hat­te das Team des Paters auch den rich­ti­gen, bezeich­nen­den Auf­tritts­ort gefun­den. Am Platz vor dem Schau­spiel­haus star­te­te auch ein Hoch­seil­akro­bat mit sei­nem Motor­rad hin­auf auf den Schloß­berg, hin­auf zum Uhr­turm. Er hat­te Pech, das Motor­rad fiel vom Seil, er sel­ber hat­te Glück, konn­te sich noch am Seil hal­ten. Uns und allen tau­sen­den Gra­zern am Frei­heits­platz blieb die Luft weg, stock­te der Atem und wir gin­gen scho­ckiert nach Hau­se. Ich kann mich noch an das Grum­meln erin­nern, wel­ches die Stra­ßen füll­te. Die Men­schen waren zwar geschockt und auf­ge­regt, unter­hiel­ten sich aber sehr gedeckt und blie­ben zwang­haft ruhig, wobei sich jedes gedämpf­te Gespräch aus­schließ­lich um das gera­de erleb­te Unglück dreh­te.
Wir gehör­ten offen­sicht­lich zu jenen Gra­zern, wel­che eine inten­si­ve­re kul­tur­be­flis­se­ne­re Ader in uns pochen lie­ßen. Ich hat­te schon als Kind das Bedürf­nis das Gesche­hen auf der Büh­ne anzu­neh­men und dar­über nach zu den­ken. Ich begriff von Anfang an, dass es sich um die Figu­ren da oben um Dar­stel­ler han­del­te, dass sie eine “Rol­le” spiel­ten, jedes­mal eine ande­re. Ich ließ die­se Per­so­nen und ihre Dar­stel­lung wir­ken, dach­te über die ein­zel­nen dar­ge­stell­ten Per­sön­lich­kei­ten kurz nach und kam damals gar nicht auf die Idee, dem “Schau­spiel” bereits etwas näher auf den Zahn zu füh­len. Wahr­schein­lich klär­ten mich mei­ne Eltern auch über die “Rol­len” auf. Aus­ser­dem gaben sich in unse­rem “Geschäft” jede Men­ge der Damen und Her­ren Schau­spie­ler und Opern- und Ope­ret­ten­stars und Chor­sän­ger die Türe gegen­sei­tig in die Hand und rede­ten mit­ein­an­der, so wie das jeder Mann und jede Frau tut. Wal­ter Rey­er und Gretl Elb und Eleo­no­re Bau­er und Peter Minich und wie sie alle hie­ßen. In Erin­ne­rung ist mir Eleo­no­re Bau­er in ihrer Rol­le als “Anna” in der Ope­ret­te “Das Feu­er­werk” von Paul Burk­hard geblie­ben. Wohl wegen des Lie­des “Oh, mein Papa”. Aber auch Musi­ker gaben sich ein Stell­dich­ein in unse­rem Ver­kaufs­lo­kal. Gott­fried Hechtl zum Bei­spiel oder Wal­ter Gold­schmidt.
Ein gro­ßer Teil der Gra­zer Kul­tur­schaf­fen­den wohn­te direkt in unse­rer Nach­bar­schaft! Sogar in “unse­rem” Haus! Im drit­ten Stock wohn­te ein Opern­sän­ger mit dem Fami­li­en­na­men Klaus. Fami­lie Klaus hat­te eine Toch­ter namens Car­men. Sie war um eini­ge Jähr­chen älter, den­noch spiel­ten wir man­ches Mal zusam­men. Meis­tens jedoch spiel­te sie mit dem Sohn unse­res Haus­meis­ters. Die Bei­den steck­ten stän­dig ihre Köp­fe zusam­men und lie­ßen uns ande­re an ihrem “Spiel­chen” nicht teil­ha­ben. Sie zeich­ne­ten und flüs­ter­ten und kicher­ten und hat­ten irgend­wel­che Geheim­nis­se mit­ein­an­der. Über den Umweg der Pes­ta­loz­zi-Schu­le kam ich dahin­ter, dass das, wor­um es da ging, ein gra­fi­sches Sym­bol vom männ­li­chen Geschlechts­or­gan war. Die­ses Organ war damals tabu. Dar­über, dass man ein sol­ches in sei­nem kör­per­li­chen Besitz hat­te, durf­te nicht gere­det wer­den. Man klär­te ein­an­der durch visu­el­le Sym­bo­le oder akus­ti­sche Codie­run­gen auf.
Spä­ter wech­sel­te die Fami­lie Win­fried Klaus den Ort des Enga­ge­ments und die Woh­nung wur­de vom Bru­der des Herrn Klaus bezo­gen. Mit Bru­der Klaus ver­stand ich mich – vie­le Jah­re spä­ter, anläß­lich eines mei­ner Besu­che in Graz – ganz gut, als er mich in sei­ne Woh­nung bat, um auf mei­ne Eltern zu war­ten und ich plötz­lich mit­ten in Kenia stand. Schil­de, Spee­re, Werk­zeu­ge, die gan­ze all­täg­li­che Folk­lo­re inklu­si­ve Beklei­dung der ver­schie­de­nen kenia­ni­schen Stäm­me füll­ten die Woh­nung in der Stey­rer­gas­se in Graz und zwan­gen mich schlag­ar­tig in die­sen Kon­ti­nent, der damals noch in Schock­star­re vor allem Wei­ßen ver­fal­len war. Bru­der Klaus stell­te sich als exzel­len­ter Kenya-Ken­ner und Stamm­gast die­ses Lan­des her­aus.
Was Auf­füh­run­gen im alten Schau­spiel­haus betrifft, kann ich mich an kei­ner­lei Nega­ti­ves erin­nern. Und natür­lich war ich sehr trau­rig, als wir nicht mehr wie gewohnt ins “Thea­ter”, ins “Schau­spiel”, gehen konn­ten, weil es irgend­wann Anfang der 1950er-Jah­re bau­po­li­zei­lich gesperrt wur­de. Es war auch ein wich­ti­ges Ereig­nis für alle Gra­zer, die­se Sper­re, so schien es. Es wur­de sehr viel dar­über gere­det und dis­ku­tiert und in den Zei­tun­gen konn­te man anschei­nend viel dar­über lesen. Ein Besuch in die­sem Haus war immer sehr “kusche­lig” und anre­gend für mich. Mein Ich, das sich lang­sam her­an­zu­bil­den begann, fühl­te sich im Publi­kum daheim, das Ich fühl­te sich sehr wohl. Obwohl sich in mei­ner Erin­ne­rung immer wie­der der Ein­druck eines Bom­ben­scha­dens auf­dräng­te, weiß ich bis heu­te nicht, wor­in der Scha­den bestand, was da getrof­fen wur­de. Es befin­det sich ein Loch in der Erin­ne­rung. Ver­drängt. Aber sicher da.

"Clavigo" 1967 im neu-erbauten Schauspielhaus Graz: Meinrad Nell (links) und Wolfram Berger (rechts)
Als Absol­ven­ten wur­den wir auch zu Abschluss-Vor­stel­lun­gen der aktu­el­len Jahr­gän­ge der Kunst-Aka­de­mie im Schau­spiel­haus Graz her­an­ge­zo­gen: So etwa in “Cla­vi­go”. Mein­rad Nell (links) und Wolf­ram Ber­ger (rechts).

Die Stadt Graz und das Land Stei­er­mark hat­ten es sich eini­ges kos­ten las­sen ein Not­quar­tier für sei­ne Schau­spie­ler im Land­haus errich­ten zu las­sen, noch dazu in der Land­stu­be. Die­ser Saal wur­de zum Raum für das Publi­kum, mit Steh­platz, etwas erhöht, ganz hin­ten. Für jene die sich das Sit­zen nicht leis­ten konn­ten. Weil sie auch zu oft ins Thea­ter gehen muss­ten. Schon der Auf­gang in den klei­nen Saal war ein Erleb­nis. Ob man woll­te oder nicht, die Geschich­te die­ser Stadt muss­te man – zumin­dest teil­wei­se – mit­er­le­ben. Man war gezwun­gen durch einen Teil des Land­hau­ses in den gro­ßen Land­haus­hof mit sei­nen Arka­den zu wan­dern, am bemer­kens­wer­ten Brun­nen mit sei­nen his­to­ri­schen Lau­ben vor­bei, die eben­so his­to­ri­schen Trep­pen mit sei­nen impo­san­ten Later­nen in den ers­ten Stock hin­auf bis in die engen und manch­mal auch sti­cki­gen Räum­lich­kei­ten der soge­nann­ten “Kam­mer­spie­le”. Schon allei­ne die ein­drucks­vol­len Later­nen sorg­ten für Stim­mung hin zu einem anre­gen­den Schau­spiel-Abend. Skur­ri­le Schat­ten­spie­le wur­den auf die his­to­ri­schen Gemäu­er und Trep­pen­stu­fen gewor­fen. Die Besu­cher wur­den schon im Vor­feld in Emp­fangs­be­reit­schaft ver­setzt und die schnee­rei­chen Win­ter von damals ver­stärk­ten die Stim­mung noch. Vor allem, wenn in der Her­ren­gas­se, vor dem Tor zum gro­ßen Land­haus­hof, im Schnee­ge­stö­ber ein Maro­ni­bra­ter gestan­den und der Geruch von heis­sen gebra­te­nen Maro­ni durch die eisi­ge Win­ter­luft gezo­gen ist. Was hier, in den “Kam­mer­spie­len”, gebo­ten wur­de, war zwar in einer Kam­mer pro­du­ziert wor­den , qua­li­ta­tiv aber ist das Gespiel­te weit über Kam­mer-Niveau hin­aus gewach­sen, ohne auch nur die gerings­te Spur von hei­ßer Luft auf zu weisen.

Von Links nach Rechts: Meinrad Nell, Wolfram Berger und Herbert Rhom als "Clavigo".
Her­bert Rhom als “Cla­vi­go”, Wolf­ram Ber­ger und Mein­rad Nell im Gra­zer Schau­spiel­haus. Die Wie­der­eröff­nung des Schau­spiel­hau­ses gab die­ser Stadt einen unschätz­ba­ren Impuls. Die­sen Impuls spürt man bis heu­te – 2019. Wir alle haben an die­sem Impuls teil, ob in Form von Steu­ern oder Sub­ven­tio­nen, in Form von Leis­tung. Wir haben uns und unse­rer Stadt ein Zei­chen gesetzt. Wir sind die Münch­hau­sens, die sich selbst aus dem Sumpf ziehen. 

Heu­te, im Jahr 2019, liegt die Geschich­te des deutsch-spra­chi­gen Thea­ters nach 1945 noch unge­schrie­ben und weit ent­fernt von uni­ver­si­tä­rer his­to­ri­scher Auf­ar­bei­tung. Nicht nur, dass der gan­ze Raum in einen nörd­li­chen und einen süd­li­chen Teil zer­fällt, zusätz­lich wur­de er noch in Ost und West geteilt,vor Jah­ren sogar noch poli­tisch, sogar noch durch eine Grenz-Mau­er. Obwohl die ärgs­ten Tren­nun­gen besei­tigt wor­den sind, obwohl die west­li­chen “Ele­ven” heu­te schon im ehe­ma­li­gen Osten spie­len könn­ten: Sie tun es kaum. Man kann die­se Tren­nung noch vie­le Jah­re spä­ter füh­len. Schau­spie­le­rin­nen und Schau­spie­ler, Regis­seu­sen und Regis­seu­re aus dem Wes­ten sind US-geprägt. Jene mit Ost-Wur­zeln haben sich die tra­di­tio­nel­le deutsch-spra­chi­ge Thea­ter-Kul­tur und damit auch das die­ser Kul­tur inne­woh­nen­de Know-How erhal­ten. Vie­le Schau­spie­ler in Graz sind damals aus dem Osten gekom­men, Leo Stein­hart etwa, der phä­no­me­na­le “Idi­ot” in Max Frischs “Andor­ra”. Oder unser unmit­tel­ba­rer Boss Ernst “Ther­wi” Ther­wal. Und man­cher ist den umge­kehr­ten Weg gegan­gen, so wie unser Kol­le­ge Ger­hard Print­s­chitz. Erst jetzt, 2019, beginnt sich die west­deut­sche, US-domi­nier­te Prä-Poten­tia und der ost­deut­sche Kom­plex der Min­der­wer­tig­kei­ten zu nor­ma­li­sie­ren, posi­tiv zu ver­mi­schen. Kul­tur ändert sich nicht so schnell, folgt nicht den krank­haf­ten Zie­len und Vor­stel­lun­gen mensch­li­chen Wol­lens, Kul­tur läßt sich auch nicht ver­ord­nen. Die­se Zei­ten hat Euro­pa erlebt und gross­teils hin­ter sich gelas­sen. Die­se Zei­ten kön­nen auch nicht wie­der her gestellt wer­den, sind nicht repro­du­zier­bar. Es reicht wenn ein paar weni­ge über­le­ben, wie in den US-Staa­ten an Hand der indi­ge­nen Natio­nen doku­men­tiert ist. Wahr­schein­lich wächst der Rie­sen­raum EU in Jahr­zehn­ten doch noch zusam­men. Vor allem dann, wenn die­ser gan­ze Raum zu einem ein­zi­gen Raum der EU-Regio­nen wird. Wenn kon­kret und kon­se­quent dar­an gear­bei­tet und nicht nur “Show As Show Can” von sich dar­ge­bo­ten wird, was zu einem Man­gel an Ent­schluss­kraft führt. Es hat vor vie­len, vie­len Jah­ren bereits den Ver­such gege­ben eine euro­päi­sche Iden­ti­tät zu fin­den, ich den­ke da an den künst­le­ri­schen Out­put Skan­di­na­vi­ens, an die fran­ko­pho­nen Staa­ten, ich den­ke an de Gaul­le , die Ita­lie­ner und Spa­ni­er, an die Pro­duk­tio­nen der “Cine­cit­tá”. Über den deutsch-spra­chi­gen Raum haben sich aller­dings immer wie­der Ang­lo-Ame­ri­ka­ner vor­ge­drängt, haben den­ken­den Euro­pä­ern kei­ne Chan­ce gelas­sen, sich selbst zu fin­den! Bis heu­te ver­hält es sich so. Die Geschich­te Nord­ame­ri­kas muss über das ent­ste­hen­de Euro­pa gestülpt wer­den, sodass nur mehr drei Polit-Play­er übrig­blei­ben: Chi­na, die USA und Russ­land. Für einen Vier­ten ist da kein Platz, es sind ja schon Zwei zu viel!

Ilse Knoll als Minna von Barnhelm, Herbert Rhom als Tellheim und Meinrad Nell als Feldjäger im Schauspielhaus Graz.
Gott­hold Ephra­im Les­sings “Min­na von Barn­helm” im Schau­spiel­haus Graz. Ilse Knoll als Min­na, Her­bert Rhom als Tell­heim und Mein­rad Nell als Feldjäger.

Auch der welt­wei­te Rech­ner­ver­bund mit sei­nen Abar­ten und ver­schie­de­nen For­ma­ten ist Bestand­teil der Kul­tur. Das Web bedeu­tet rei­bungs­frei­en Aus­tausch von Mei­nun­gen und Infor­ma­ti­on zwi­schen den diver­sen Kul­tu­ren, wird damit zur inter­dis­zi­pli­nä­ren kul­tu­rel­len Kom­mu­ni­ka­ti­on. Natür­lich wird die­ses “Web” vor allem in den Anfangs­jah­ren zu allem Mög­li­chen und Unmög­li­chen miß­braucht. Das ana­lo­ge und spe­ku­la­ti­ve Den­ken ist im “mensch­li­chen” Bereich expli­cit vor­han­den und hat sich dort noch für eini­ge Gene­ra­tio­nen fest­ge­setzt. So ergeht es allen “Medi­en”. Wie lan­ge exis­tie­ren Print-Medi­en schon? Und noch immer “ver­ra­ten” hier Schrei­ber­lin­ge etwas, was sie bis­her vor uns allen ande­ren anschei­nend ver­heim­licht haben. Etwa “wo und wann man den Mond sieht” (future­zo­ne, Feber 2019). Auch die Mode­ra­to­ren von Radio und TV “ver­ra­ten” uns täg­lich irgend­was, was wir sowie­so wis­sen und umge­ben sich dadurch mit einer schil­lern­den Sei­fen­bla­se, die ein paar Meter wun­der­schön dahin­blub­bert, um beim nächs­ten fast nicht spür­ba­ren Wider­stand zu zer­plat­zen. Hät­te uns in den 1960er Jah­ren die Lin­gu­is­tik mit all den Erkennt­nis­sen aus den vie­len Teil-Wis­sen­schaf­ten, etwa der Psycho-Lin­gu­is­tik, der Bio-Lin­gu­is­tik und der Neu­ro-Lin­gu­is­tik, unter­stützt, hät­te ich nicht im Park hin­ter der Aka­de­mie in Graz mei­ne, fall­wei­se unse­re, lin­gu­is­ti­schen Expe­ri­men­te durch­füh­ren müs­sen. Und letzt­lich hat mir auch das man­geln­de Ver­ste­hen der Zusam­men­hän­ge den Abschied vom natio­na­len Hör­funk-Bereich des ORF – obwohl haupt­säch­lich aus pri­va­ten Grün­den (sie­he Buch 3) – leicht­ge­macht.
Der Abschied von den bereits zur Tra­di­ti­on zäh­len­den Kam­mer­spie­len fiel allen schon eini­ger­ma­ßen schwer. Natür­lich freu­ten wir uns auf “unser” Schau­spiel­haus und natür­lich wuss­ten wir, dass für “unse­re” Stadt eine neue Ära begann. Wir ahn­ten, dass mit die­sem Bau­werk Impul­se ver­bun­den waren und ver­bun­den sein wer­den, Impul­se, die nicht nur das Thea­ter betra­fen und betref­fen. Wir waren die­je­ni­gen, die das ers­te Mal in die­ser Stadt vor 600 Gra­ze­rIn­nen die neu­es­te Büh­ne Euro­pas betre­ten durf­ten, uns bewe­gen durf­ten, zei­gen durf­ten, dass wir die Bot­schaf­ten, die wir dar­stell­ten auch begrif­fen hat­ten und was wir begrif­fen hat­ten, auch an die 600 Anwe­sen­den wei­ter­ge­ben muss­ten. Wir durf­ten das “Span­nung hal­ten” und den Mut “zur Häß­lich­keit” inner­halb der berühm­ten und gefürch­te­ten Char­gen­rol­len bewei­sen. Auf die­ser Büh­ne wur­de uns erst bewußt, dass wir uns selbst und unse­rem Publi­kum die Chan­ce gaben und noch immer geben, Bot­schaf­ten zu begrei­fen, jeden Abend.

Mein Burgfräulein in Shakespeare´s "Was Ihr wollt": Renate hat meine ersten Schritte auf der großen Bühne des Grazer Schauspielhauses begleitet.
Das war die Beglei­te­rin mei­ner ers­te Schrit­te auf der gro­ßen Büh­ne des Gra­zer Schau­spiel­hau­ses. Wir schrit­ten gemein­sam und Arm in Arm im ers­ten Stock des Büh­nen­bil­des zu Shakespeare‘s “Was ihr wollt”. Ich durf­te all­abend­lich vor 600 Gra­ze­rIn­nen ein paar locke­re Wor­te als Shake­speare-Tee­nie­b­op­per an sie verlieren.
Meiner Begleiterin wärend der ersten Schritte auf einer wirklich großen Bühne verdanke ich sehr viel: Danke, liebe Renate!
Rena­te hat mir sehr viel gege­ben wäh­rend der Unter­stüt­zung mei­ner ers­ten Schrit­te auf den Büh­nen im damals noch ganz klei­nen Uni­ver­sum. Ich erin­ne­re mich ger­ne an die­se Momen­te. Danke.
Meinrad Nell als "Feldjäger" in Lessing´s "Minna von Barnhelm". Dies ist wohl die gefürchtetste aller Chargenrollen.
In der gefürch­tets­ten aller Char­gen­rol­len: Mein­rad als “Feld­jä­ger” in Lessing´s “Min­na von Barn­helm”. Mit über 70 erfah­re­nen Jah­ren hat man auch vor den Feld­jä­gern kei­ner­lei Ängs­te mehr.

Wir hat­ten uns schon sehr auf die gro­ße Büh­ne gefreut, auf eine Büh­ne, die man dre­hen konn­te, die sich schräg stel­len ließ, die man absen­ken konn­te, auch teil­wei­se, die sich auch hoch­stel­len ließ, eine Büh­ne mit der damals neu­es­ten Licht­tech­nik, mit Pro­jek­to­ren, mit akus­ti­schen Ver­stär­kern. Wir hat­ten uns schon sehr gefreut auf stan­des- und zeit­ge­mä­ße Gar­de­ro­ben auf eine eben­sol­che Kan­ti­ne, auf ent­spre­chen­de Räum­lich­kei­ten für den oder die Mas­ken­bild­ner gleich im Erd­ge­schoß. Und wen hab ich da getrof­fen, als Thea­ter­fri­seur und Mas­ken­bild­ner-Chef? Mei­nen Nach­barn Kur­ti Malik. Stey­rer­gas­se 76! Da leb­ten wir bei­na­he Haus an Haus, kann­ten uns vom Sehen, grüß­ten ein­an­der und hat­ten kei­ne Ahnung, dass wir ab dem Tag des Schau­spiel­haus-Bezu­ges eini­ge Jähr­chen unse­res Lebens gemein­sam ver­le­ben wür­den. Kur­ti wur­de sofort mein Leib-Fri­seur und Bera­ter in allen mas­ken­bild­ne­ri­schen Ange­le­gen­hei­ten. Zu Kur­ti hat­te jeder, der auf der Büh­ne dar­stel­le­risch zu tun hat­te, Ver­trau­en. Kur­ti durf­te alles. Kur­ti steck­te zusam­men mit sei­ner Assis­ten­tin, die eben­falls aus Ost-Deutsch­land stamm­te, hin­ter jeder “Mas­ke”, egal wer es auch im Ori­gi­nal war, auch Hel­muth Loh­ner oder sonst ein Star.
Die­ses Neue Haus wur­de sofort erfüllt von Leben, es wur­de ein Haus durch­flu­tet von Licht und Luft. Alles roch ganz neu und frisch, alles glänz­te und strahl­te. Ein wenig Stolz schwang eben­falls mit, schließ­lich hat­te unse­re Stadt erst­mals in sei­ner Geschich­te eine Kunst-Aka­de­mie und dazu noch ein neu­es Schau­spiel­haus und wir gehör­ten zu all dem. Es wur­de ein häus­li­ches Haus, das wir alle sehr ger­ne betra­ten, auch wenn wir gar nichts zu tun hat­ten, son­dern nur ande­re bei den Pro­ben beob­ach­te­ten, im gro­ßen Pro­ben­saal etwa. Und das durf­ten wir, als Stu­die­ren­de. Nur bei den Stars nicht, bei Hel­muth Loh­ner etwa. Mit ihm als “Ham­let” wur­de das Schau­spiel­haus Graz 1964 schließ­lich eröff­net. Die Haupt­pro­ben durf­ten wir schon besu­chen, im Gegen­teil, das war sogar gewünscht. Da “spiel­ten” wir sogar Publi­kum. Dann gab es noch ein paar klei­ne­re Säle, für Lese­pro­ben bei­spiels­wei­se oder Zusatz-Pro­ben. Da lern­ten wir die Arbeit des Regie-Assis­ten­ten ken­nen, im kon­kre­ten Fall war es Claus Hom­schak. Wir exer­zier­ten hier in einem der klei­ne­ren Pro­ben­räu­me das Dasein der asia­ti­schen Sol­da­ten, des Erschie­ßungs­kom­man­dos in “Die drit­te Front” von Harald Zusa­nek. In die­sen Räum­lich­kei­ten ent­stan­den auch die vier fre­chen Edel­män­ner in Shakespeare´s “Was ihr wollt”, Regie Hel­muth Ebbs, dar­ge­stellt von Harald Per­scha, Diet­mar Pfle­gerl, Sepp Gartl­gru­ber und Mein­rad Nell, die Arm in Arm mit ihren hoch­ver­ehr­ten Burg­fräu­leins über die Büh­ne fla­nier­ten. Jah­re spä­ter, mit Beginn der 1970er Jah­re, erfass­te die Besu­cher­kri­se auch das Sprech­thea­ter . Das Ange­bot an das Publi­kum wur­de immer grö­ßer, das Kino ent­wi­ckel­te sich, das Fern­se­hen, die Unter­hal­tungs­sze­ne der Kon­zer­te jeg­li­cher Grö­ßen­ord­nung. Es wur­de immer ein­deu­ti­ger: Je inten­si­ver die Syn­chro­ni­sa­ti­on unse­res vor­han­de­nen Wis­sens, je detail­lier­ter des­sen Ver­net­zung ist, des­to weni­ger Miß­ver­ständ­nis­se gab es und wird es geben. Mit der Popu­la­ri­tät des Rech­ner­ver­bun­des syn­chro­ni­sie­ren die Meis­ten sowie­so schon, ohne es zu wis­sen, via Wiki­pe­dia etwa. Und im Jah­re 2019 – die Zeit in der die­se Zei­len geschrie­ben wer­den – gehö­ren Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft und Medi­en­wis­sen­schaft zur Gegen­wart, mit all ihren Unter­grup­pen, mit der Sprech­erzie­hung, der Sprech­wis­sen­schaft oder der Lin­gu­is­tik . Schau­spie­le­rin­nen und Schau­spie­ler, Regis­seu­sen und Regis­seu­re, wie wir sie ken­nen, gibt es nicht mehr. Sie müs­sen sich für eine der bei­den Wis­sen­schaf­ten oder gleich für bei­de ent­schei­den. Die Zeit der Quer­ein­stei­ge­rin­nen und deren männ­li­che Pen­dants ist vor­bei. Es gibt im gan­zen deut­schen Sprach­raum nur eini­ge weni­ge Aus­nah­men. Ein befrei­tes Auf­at­men geht durch die gan­ze Medi­en­bran­che. Etwas Belas­ten­des fällt ab von uns, groß und schwer wie ein gan­zer Hima­la­ya. Wir gehen die vor­ge­ge­be­nen Wege der Syn­chro­ni­sa­ti­on. Die­se Wege wer­den immer kla­rer und ein­fa­cher. Heu­te hat es nie­mand mehr nötig, auf Gerüch­te und ein­fach Dahin­ge­sag­tes zu hören. 

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