Vor 25 Jahren saß ich eines Abends am Mac und schaute vor Langeweile durch eine Bibliothek voller ScreenSaver. Damals benötigte man so etwas noch, da waren echte Kathodenstrahlröhren in den Monitoren verbaut. In dieser Bibliothek stieß ich auf ein faszinierendes Bild, welches mich gefangen nahm: im Hintergrund waren ganz eindeutig die Kärntner Karawanken zu erkennen, im Vordergrund stand ein romantisches altes Kärntner Bauernhäuschen auf einem Hang eines höheren Berges. Ganz offensichtlich handelte es sich um eine Photoshop-Bearbeitung, eine Montage, denn in Wirklichkeit durfte es so etwas ja nicht geben, noch dazu mit rotblühenden Pelargonien vor den Fenstern, wunderschön und kitschig. Viel zu kitschig. Dennoch wurden Erinnerungen an meine Kärntner Lehrjahre wach und nachdem auch meine Gattin dieses Bild schön und trotz allem ansprechend fand, habe ich es sofort installiert. Über 10 Jahre lang zierte es den Mac meiner Gattin. Als unerfüllbarer Wunschtraum hatte es sich in uns eingebrannt. So wie es viele Werbesujets versuchen. Irgendwann einmal ging dieses Bild verloren, wir hatten ja beide Systeme, PC und Mac, immer schon. Bei irgendeinem Umstieg geschah es, irgendwie und irgendwann. Es blieb nur mehr die Erinnerung. Im Jahre 2018 fuhren wir ahnungslos durch das winterliche Zollfeld am Magdalensberg vorbei und nachdem Nicole den Berg mit seinen Ausgrabungen nur vom Hörensagen kannte und wir nicht unter Zeitdruck standen, fuhren wir dort hinauf. Es gibt da ein Wirtshaus namens “Gipfelhaus” und das kannte ich. Das mußte man Ende der 1960er Jahre kennen, vor allem als ORF-Mitarbeiter! Wir blieben diesmal kurz bei den Ausgrabungen stehen ohne den warmen Innenraum des PKW zu verlassen, ich verlor ein paar wichtige Wörter über die Ausgrabungen und wir fuhren gleich weiter, bergauf. Im Schneegestöber wechselten wir die Innenräume. PKW gegen Gaststube. Nicht ohne von der Hauskatze angebettelt zu werden, sie doch auch mit hinein zu nehmen, in die warme Stube! Wir orderten Kärntner Spezialitäten, ein “Maischerl” (Laibchen aus faschiertem Fleisch, mit einem Schweinsnetz umhüllt) und “Nudel-KuddelMuddel”(Kärntner Käsenudeln mit diversen Füllen, ein echtes Tohuwabohu, ein echtes KuddelMuddel also). Nach dem Essen und da das Schneetreiben nachgelassen hatte und ein bischen etwas von der Umgebung zu sehen war, vertraten wir uns ein wenig die Beine. Wollten wir uns die Beine vertreten, denn da stand vor uns, gleich neben dem Gipfelhaus, leibhaftig unser ScreenSaver von damals! Ganz in Echt. Wie von Donner und Blitz berührt standen wir da, fassungs- und atemlos. Da war das kleine Kärntner Bauernhäuschen mit den Karawanken als Panorama-Blick. Das Häuschen stand tatsächlich da in seiner ganzen Leibhaftigkeit! Mitten im Winter!
Das Meeting im Gipfelhaus
Ich hatte noch nie die Gelegeneit festzustellen, wieviele papierähnliche Seiten oder Dokumente, wieviele Schriftsätze, wieviele Bücher, Enzyklopädien und ähnliches zum Thema “Zufall” oder “Schicksal” oder “Bestimmung” niedergeschrieben wurden und sicher auch noch werden. Was auch immer sich hinter der Dichtheit der Ereignisse verbergen sollte, die Tatsachen sind folgende: In der ersten Maiwoche 2019 habe ich den “Troadkasten” rechtlich verbindlich gebucht. Am Tag darauf wurde ich von Familie Skorianz verständigt, dass ich ab Sonntag, 7.7.2019 buchen könne, bis Sonntag sei er schon vergeben. Ausserdem seien Buchungen des Troadkastens Bestandteil eines “Hochzeits-Packages” im Gipfelhaus. Aber in unserem Fall könnte man schon eine Ausnahme machen. Sofort sagte ich zu. Wochen später erreichte mich von Rudi Gösseringer, Obmann des Kärntner ORF-Pensionistenverbandes, die Nachricht, dass die jährliche Wörthersee-Kreuzfahrt – das Treffen aller österreichischen ORF-Pensionisten vom 10.–12.7.2019 mit Rahmenprogramm und einem Abendessen am Magdalensberg stattfinden solle. Zu diesem Zeitpunkt – Juni 2019 – wußte nur die Familie Skorianz als Eigentümer des Magdalensberges und des Gipfelhauses, wir – Familie Nell – und Ingrid Wolf von unserem gebuchten “Troadkasten”-Termin. Seit über 50 Jahren verbindet mich Freundschaft mit Ingrid, unterbrochen ihrerseits von der Tätigkeit für Robert Lembke, der 1972 für die Rundfunk- und Fernsehübertragungen von den Olympischen Sommerspielen in München verantwortlich war. Ihre Verehelichung mit Dipl.-Ing. Klaus Wolf führte sie in weiterer Folge nach Nürnberg, später mit Ehemann wieder zurück in ihre Heimat nach Kärnten. Ingrid kannte unsere Geschichte vom “Troadkasten”.
Kurz nach unserem Einchecken erfuhren wir von Ingrid, dass Ernst Grissemann, jener Mann der vor ungefähr fünfzig Jahren Ö3-Chef war und mich gemeinsam mit Gerd Bacher als GI, als General-Intendant, nach Wien zu Ö3 geholt hatte, zufälligerweise in Kärnten sei und sie beide, Ingrid und Ernstl, uns im “Troadkasten” besuchen kommen würden. Einen Tag später rief Fritzi Hofmeister an und avisierte seinen Besuch gemeinsam mit seiner Gattin Christa. Ingrid und Klaus, Fritz und Christa, Ernst Grissemann und noch viele, viele andere, wie Ing. Georg Regatschnig zum Beispiel, sie alle werden in weiterer Folge ein selbständiges Kapitel benötigen. So gesehen hat der “Troadkasten” ein Vorwort ausgelöst. Ein Vorwort zu Kärnten. Kärnten bedeutet für mich sehr viel. Wer dieses Ländchen im Süden Österreichs einigermaßen kennt, versteht mich. Ich habe in diesem selbstbewußten Landstrich viel, sehr viel gelernt, erfahren und erlebt. Ich habe sehr viel Liebe erhalten und erfahren, ich habe Begehren und Begehrlichkeiten erkannt und erfahren und mußte erlernen, dass Freundschaft erworben sein muss.
Die Fröhlichkeit des ungeplanten Meetings erfüllte die Gaststube des Gipfelhauses und erfasste auch das Arbeits-Team der Archäologen, welche tagsüber schufteten und ausgruben und schufteten und geodätisch vermaßen, profilierten und wieder ausgruben – noch dazu unter Zeitdruck. Das Gipfelhaus wird 2019 ausgebaut. Der Neubau wird der Umgebung angepasst. 2020 wird es ganz neu zu erleben sein. Der Ur-Betrieb des Gipfelhauses wird von dem Neuen nicht gestört. Da läßt sich Familie Skorianz “nix aeneredn” (nichts hineinreden), Neues passt sich an Altes an: Da steht ein spätgotisches Kirchlein auf keltischem Fundament und unmittelbar daneben das Gipfelhaus und noch unmittelbarer daneben zu ebener Erde die neuen Gäste-Suiten. Und davor noch der “Troadkasten”! Dass der ganze Berg von vielen, vielen Menschen belebt war – bis zu 5.000 – die von hier aus europaweit Handel trieben und Waren produzierten, Gold und Metall schmolzen, das alles wundert heute nicht mehr, im Zeitalter “in statu nascendi”. Eine “Globalisierung” hat es immer schon gegeben. Menschenleere Landstriche und Kolonisatoren gehören ins Reich der analogen Gerüchte, der systembedingten märchenhaften Erzählungen und Lügen. Die Menschheit allerdings ist gerade dabei ihre Vergangenheit auf zu arbeiten. Auch am Magdalensberg in Kärnten.
Man verspürt, dass man willkommen ist, dass das Sich-Wohlfühlen im Mittelpunkt steht, dass die gesamte Familie Skorianz, die Chefinnen und Chefs und das Personal, auch jene Mitarbeiter mit denen man sich nur englisch unterhalten kann, als Vermittler zwischen Gast und Umgebung fungieren. Und bei diesem Panorama bedeutet “Umgebung” recht viel! Rein geografisch. Was das “Karnt is lei oans” (Kärnten ist unverwechselbar Eines), was dieser Satz tatsächlich bedeutet, begreift man erst von hier heroben, vom Magdalensberg aus. Wobei das Wetter absolut keine Rolle spielt. Im Gegenteil. Das gehört dazu, ist Bestandteil dieses “lei oans”! Das drückt sich schon alleine im Baumaterial aus: Größtenteils selbst-isolierendes, heimeliges, kuscheligesHolz. Es beginnt schon unten im Ausgrabungsgelände: Der Imbiss-Pavillon dort ist etwa 40 oder 50 Jahre alt – und aus unverwüstlichem Holz! Wir haben uns hier heroben, dem Himmel ganz nah, schicksalshaft getroffen: Zunächst mit Ingrid, dann wie aus dem Zylinder hervorgezaubert, Ernst Grissemann, am nächsten Tag der ganze Pensionisten-Verein des ORF-Wien und schließlich Freund Fritz Hofmeister mit dem mein ganzes Werden und Sein auf ewig verbunden bleiben wird. Jene Menschen, welche alleine für mein Werden schon die größte Rolle erfüllten, haben einander durch schicksalshafte Fügung hier heroben getroffen. Der Magdalensberg inklusive “Troadkasten” hat gerufen…