Ein “Aha-Erlebnis” waren auch unsere Aufführungen im Meerscheinschlößl zu Graz. Sie fanden zu einer Zeit statt, als die Existenz dieses Schlosses gerade diskutiert wurde. Es ging darum, ob man dieses Bauwerk aus den Jahren um 1580 einfach abreißen sollte, um Neuerem Platz zu machen. Es war schon ziemlich heruntergekommen, das alte Schloss. Und es haben sich daran schon einige zu schaffen gemacht, was nicht zu übersehen war. Wir waren der letzte Versuch dieses Objekt wieder zu beleben. Irgendjemand wollte jedenfalls wissen. Wie auch immer, im sogenannten “großen Saal”, unter den Fresken aus den Jahren um 1700, haben wir uns umgezogen und geschminkt. Es war unsere Garderobe. Über unseren Köpfen, ziemlich nahe an den Deckenfresken, war bereits ein sogenannter Akustikvorhang angebracht, bestehend aus einfachen Plastikschnüren. Es war damals der Technik letzter Stand. Angeblich hätte sich das bereits bei klassischen Konzerten vor einiger Zeit sehr positiv ausgewirkt. Auf uns strahlte aber nichts ab davon, wir benutzten diesen ehrwürdigen Saal auch nur als Garderobe. Gespielt wurde draußen, im Freien. Das Publikum saß auf Park-Bänken. Wir taten alles, um möglichst authentizitär zu wirken. Auf Fackeln mussten wir aus feuerpolizeilichen Gründen verzichten. Das Schloss diente nur als Kulisse, ideal für das barocke Schimpf-Spiel um die “Absurda Comica oder Herr Peter Squenz” von Andreas Gryphius. Dieser Lyriker ist eine der beeindruckendsten Persönlichkeiten des Barock. Durch meine intensive literatur-geschichtliche schulische Ausbildungszeit war ich außerdem Gryphius-minded. Ungefähr um 1650 entstanden beide, sowohl Schimpf-Spiel als auch Schloss. Authentizität wohin man an den Abenden der Aufführung blickte! Es gab genug zu sehen, zu spüren und zu fühlen!
Die Zeit beim und für das “Junge Theater” hat mir sehr viel bedeutet. Da habe ich nicht nur gelernt, mit Menschen umzugehen, sondern dies auch erfahren, mit Menschen in Gruppen, gleichgültig wie viele sie waren. Je umfangreicher, desto kompakter war diese Menge, diese “Masse”. Bis zum “Jungen Theater” hatten wir im dramatischen Unterricht wohl die Umsetzung der sogenannten “Rollen” erlernt und erfahren, inklusive dem ganzen Drumherum, aber niemand erklärte uns die Zusammenhänge des Wechselspiels zwischen Sender und Empfänger. Weiter als bis zum Regisseur – Frauen in dieser Funktion waren äußerst selten damals – hatte es nicht zu gehen, was immer wir zu senden bereit waren. Vor der Bühnenrampe schien das Unaussprechliche zu existieren. Da saß ja auch die Regie. Bis zur Première. Ab diesem Augenblick saßen da nur noch Empfänger, viele, viele Empfänger, welche vorgaben ein Einziger zu sein. Und diesem stellten wir unsere Vorstellung gegenüber. Unsere – im besten Falle jenes, was wir uns gemeinsam mit der Regie erarbeitet hatten. Wir hingen also alle vom Nicht-Artikulierten ab. Geredet wurde über auslösende Mechanismen oder Effekte nur hinter vorgehaltener Hand, in vertraulichem Gespräch, so als ob es ein Geheimnis wäre, welches mir anvertraut worden ist. Jeder Einzelne blieb sich demzufolge selber und den Gerüchten, dem Hören-Sagen, überlassen. Hattest Du einmal begriffen, dass vor der Rampe Deine Empfänger sassen, wurdest Du auch nur ein einziges Mal mit ihnen konfrontiert, warst Du schon Bestandteil dieser Welt. Ein kleiner Teil des Bestandes dieser Welt, welche zu dieser Zeit aus Bühnen, Mikrofonen und Laufbild-Aufnahme- und Wiedergabe-Geräten bestand. Warst Du einmal dieser Teil, kam es nur mehr darauf an, wie intensiv Deine Auseinandersetzung mit den Empfängern war, wie groß dementsprechend auch Dein persönlicher Erfolg geworden ist.
Das “Junge Theater Graz” allerdings wurde mit Dieters Gang zum ORF-Wien und meinem Gang zum ORF Kärnten mit einem Mal alt. Altklug möglicherweise.