Friedens-Gefühle

Ein Kopf­schüt­teln, ein tie­fes, tie­fes Ein­at­men. Das Aus­at­men ein Seuf­zen ohne Bedeu­tung, ein Seuf­zen eben, ein Seuf­zen das allei­ne dasteht, ohne irgend­was. Nicht sinn­los son­dern vol­ler Aus­sa­gen. Mit allem, was da ist. Mit einer gan­zen Exis­tenz. Ein Seuf­zen aus den tiefs­ten Tie­fen und den höchs­ten Höhen. Aus gan­zem Her­zen. So liest man es meis­tens. Aber es ist ja mehr. Ein sol­ches Seuf­zen ent­ringt sich mir heu­te – im Jah­res­wech­sel 2016/2017 – wenn ich an die Bil­der in Opa´s Hof, an die Erwach­se­nen vor 60, 65 Jah­ren, die ja die Trä­ger mei­ner Zukunft waren, und an die Gleich­alt­ri­gen von heu­te den­ke. Ganz egal wo immer sie waren und sind, ob in Mal­ta, im euro­päi­schen, nord­ame­ri­ka­ni­schen Bereich, im Umfeld des “hei­li­gen Wal­des von Bé” Afri­kas, irgend­wo in Asi­en, im Land der Thais, in Sri Lan­ka oder den Komo­ren und gleich­gül­tig in wel­chem Alter die Ge- und Betrof­fe­nen auch waren: Wir hat­ten uns ver­stan­den, auch wenn es schwer­wie­gen­de sprech- und schrift­sprach­li­che Unter­schie­de gab. Wobei die­se Unter­schie­de immer Unter­hal­tungs­wert hat­ten, immer “lus­tig” zu ver­ste­hen waren und noch immer sind. Ich den­ke da an den Thai der eine viel zu schwe­re Kis­te zu tra­gen hat­te, die ihm auch prompt auf den lin­ken Fuß fiel. Er lach­te dabei. Kein “Schei­ße”, kein Schimpf­wort, kein Wort des Fluchs. Ein Lachen, über sich selbst. Nir­gend­wo tauch­ten und tau­chen Ani­mo­si­tä­ten auf, Kon­kur­renz­den­ken, nicht ein­mal unter Söld­nern, die auf ihren Ein­satz war­te­ten und war­ten, um von Macht- und Ein­fluss-Krän­keln­den bares Geld zu erhal­ten. Man unter­hielt sich und lern­te so von­ein­an­der. Man­che nutz­ten und nut­zen dies um zu mani­pu­lie­ren, ein paar nah­men und neh­men dies ernst, und von die­sen nah­men und neh­men wie­der­um eini­ge dies viel zu ernst. Wie das halt so zu sein hat. Ent­we­der man lebt oder man spielt. Nicht nur mit dem eige­nen Leben.

Wie jener bun­te, angeb­li­che “Ame­ri­ka­ner” dem ich an einem Was­ser­lauf im sonst so tro­cke­nen West-Afri­ka begeg­ne­te indem ich ihm in die aus­ge­streck­te rech­te Hand fiel, in der er ein geöff­ne­tes west­li­ches Ziga­ret­ten-Etui hielt. Weit und breit war kein Rau­chen­der zu sehen, auch kei­ner der sich dazu ver­füh­ren hät­te las­sen. Den­noch hielt der vor­geb­li­che Ket­ten­rau­cher das Etui vor sich hin. Wir gin­gen bei­de zu Boden. Er ver­schwand in Staub und Morast, ver­schwand mit­samt sei­nem Mitsu­bi­shi. Übrig blieb nur das Ziga­ret­ten­etui, das sich als per­fekt getarn­tes Wäff­lein her­aus­stell­te von dem man zwei Geschos­se abfeu­ern konn­te. Wen er damit tref­fen woll­te und vor allem konn­te, blieb mir ein Rät­sel. Wie offen­sicht­lich allen ande­ren Anwe­sen­den auch, zumin­dest ging es unter in all dem Geschnat­te­re und Geläch­ter das sich hin­zog bis zum Abend und von Mann zu Mann und Frau zu Frau als Ereig­nis wei­ter­ge­ge­ben wurde.

Ein sol­cher vor­hin beschrie­be­ner Seuf­zer ent­ringt sich mir auch heu­te noch, wenn ich an die Mäd­chen und Buben in ihren Ein­bäu­men auf dem Lac Ahé­mé in Ben­in den­ke, die jeden Tag sehn­süch­tigst auf das Ankom­men der weni­gen Tou­ris­ten­boo­te war­te­ten, um den wei­ßen Gäs­ten das gro­ße Hun­ger-Ödem-Thea­ter vor­zu­spie­len. Die Buben schaff­ten das durch Anhal­ten der Luft und Auf­blä­hen des gan­zen Bau­ches. Ich ver­brach­te ein paar Tage bei ihnen. Ich woll­te unbe­dingt wis­sen. Das erreich­te ich zwar, nur das Auf­blä­hen schaff­te ich unter dem schal­len­den Geläch­ter mei­ner jun­gen Leh­rer kaum. Sie schaff­ten es immer­hin ihre Luft ein paar Minu­ten, so ca. drei Minu­ten, anzu­hal­ten, in die­ser Zeit “Hun­ger” vor­zu­gau­keln, dann schnell unter das soge­nann­te Pfahl­bau-Tou­ris­ten­zen­trum mit war­mem Coca-Cola und auf­ge­dun­se­nen Kar­tof­fel-Chips zu sta­ken, wäh­rend des Zäh­lens der Mün­zen, die zuvor ins Boot gewor­fen wur­den, rasch wie­der Luft zu holen und sich wie­der hin­aus zu den Tou­ris­ten zu wagen. Zum Wis­sen zähl­ten natür­lich auch mei­ne dor­ti­gen ande­ren Erfah­run­gen. Dazu zähl­ten die Beob­ach­tun­gen des Ver­hal­tens der jun­gen Frau­en. Sie war­te­ten in sta­tu natu­ra­lis auf die wei­ßen Tou­ris­ten. Erst als die Boo­te schon in Ruf­wei­te waren, schnall­ten sie die wei­ßen, west­li­chen BH´s um, klapp­ten die Scha­len hoch, pad­del­ten zum Zen­trum, rie­fen laut “cadeaux, cadeaux!” (Geschen­ke! Geschen­ke!) und klapp­ten die BH-Scha­len für drei Sekun­den wie­der run­ter. Natür­lich erst dann, wenn die “cadeaux” auch im Ein­baum gelan­det waren. In Form von barem Geld. Die wun­der­schö­nen Brüst­chen wur­den dann von den Gäs­ten abfo­to­gra­fiert und von den jun­gen Frau­en sofort unterm BH wie­der ver­bor­gen. Waren die Tou­ris­ten­boo­te weg, waren auch die wei­ßen BHs weg. Die wun­der­schö­nen Brüst­chen blie­ben in aller Natür­lich­keit unver­bor­gen, unver-schämt und frei bis zum nächs­ten Tag. Die­se Erfah­run­gen einer ver­kehr­ten Welt, eines Tou­ris­tik-Zoos in einem afri­ka­ni­schen Lagu­nen-See, bil­de­ten übri­gens – nach einer lan­gen gemein­sam durch­dis­ku­tier­ten Nacht – die Grund­la­ge für den Film “Das Fest des Huhns” von Wal­ter Wip­pers­berg aus dem Jah­re 1992. Die Syn­chro­ni­sa­ti­on des Films war ähn­lich denk­wür­dig, ent­we­der tauch­ten sei­tens von Wal­ter oder mei­ner­seits Fra­gen oder Erin­ne­run­gen auf, die ganz real vor uns ent­stan­den und die nach Ant­wor­ten schrien, die wir aber nicht geben konn­ten. Ja, in Form eines Films oder eines aus­führ­li­chen Lebens, eines Romans unter Umstän­den, konn­te oder könn­te man sie beant­wor­ten.
Hus­sein aus dem ehe­ma­li­gen Alep­po und Yus­suf aus Damas­kus könn­ten sicher eini­ge Ant­wor­ten auf auf­ge­tauch­te Fra­gen geben, so die bei­den noch leben sol­len. Wir schrei­ben jetzt immer­hin 2017. Und unse­re Bekannt­schaft dau­er­te unge­fähr drei Lebens­jah­re, von 1963 bis 1966. Der Krieg in Syri­en dau­ert jetzt schon ins­ge­samt fünf Jah­re. Damals schien alles noch so ziem­lich fried­lich zu sein. Revo­lu­tio­nen gab es schon. Aber die fan­den außer­halb von Damas­kus statt und lie­ßen Zivi­lis­ten so ziem­lich unbe­hel­ligt. Die Bei­den durf­ten auch hier bei uns in Graz Kul­tur und Kunst stu­die­ren. Sie lern­ten unse­re Art zu insze­nie­ren. In aller Pra­xis. Und in Frie­den. Wir ver­stan­den uns voll­kom­men. Krieg, was war das schon. Dass war alles begriff­lich weit, weit weg.
Ein sol­cher vor­hin beschrie­be­ner Seuf­zer wird auch durch Erin­ne­run­gen an das Gast­haus “Zum Jäger­st­üb­le” in Öhrin­gen, unweit von Heil­bronn ausgelöst.Ich kam mit einem Jugend­freund dort­hin, per Anhal­ter. Das war ja sehr modern damals. Durch ganz West-Euro­pa kam man auf die­se Art. Und es gab jede Men­ge Mobi­li­täts-Hilfs­be­rei­te. Wir lern­ten dort die Fest­spie­le von “Götz von Ber­li­chin­gen” ken­nen und die US-Army in ihrem Stütz­punkt von Neckar­sulm. Ja, wir zwei öster­rei­chi­schen Jüng­lin­ge direkt in der Kaser­ne von Neckar­sulm! Wo dienst­ha­ben­de Patrouil­len-Sol­da­ten in vol­ler Aus­rüs­tung und Bewaff­nung in der Kan­ti­ne Pau­se mach­ten – bei einem Bier­chen, soviel ich mich erin­nern kann. Es war die Zeit, als auch die ers­ten Raket­chen sta­tio­niert wur­den. In Neckar­sulm. Ein paar Wochen vor unse­rer Öhrin­gen-Zeit war angeb­lich Elvis the Pel­vis Pres­ley im “Jäger­st­üb­le” zu Gast. Was da alles mög­lich war, in die­ser Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land – wir schüt­tel­ten nur unse­re bei­den Köp­fe und hitch­hik­ten rasch wie­der zurück in das ober­fläch­lich ruhi­ge, beschau­li­che Öster­reich. Noch gewähr­te man uns ja kei­ne all­zu­gro­ße Ein­bli­cke hierzulande.

Eines wur­de uns aller­dings in der öhrin­gen­schen Zeit unklar: Wel­che mono­the­is­ti­sche Glau­bens­leh­re for­dert den Men­schen auf, Mit­men­schen, Lebe-Wesen umzu­brin­gen, zu töten? Uns war damals die Ring­pa­ra­bel aus Les­sings “Nathan der Wei­se” schon ein Begriff, genau­so wie die Beant­wor­tung von Fra­gen, die aus die­ser gestellt wer­den müssten.

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